Die Gewürzhändlerin
Haus direkt am Kornmarkt war sie schon mehrmals vorbeigegangen, wenn sie mit Godewin oder Wilbert den Fischmarkt aufgesucht hatte. Es schien noch nicht so alt zu sein wie die Gebäude in der direkten Nachbarschaft – natürlich nicht, denn es war ja vor ungefähr fünfzehn Jahren vollständig niedergebrannt. Glücklicherweise war der Kornmarkt nicht allzu dicht bebaut, ansonsten hätten sicherlich auch andere Gebäude Schaden genommen. Den Hof, der mit gleichmäßig behauenen Steinen gepflastert war, rahmten mehrere Nebengebäude ein, von denen sie eines als Stall und ein anderes als Scheune identifizierte. Ein weiteres einstöckiges Haus ging nach hinten hinaus; wozu es diente, war auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Zwischen diesem Gebäude und dem Wohnhaus führte ein schmaler Weg zu einem weiteren Teil des Grundstücks, von dem Luzia in der hereinbrechenden Dämmerung nicht viel sehen konnte. Sie vermutete, dass es sich um einen Garten handelte.
«Interesse an einem kleinen Rundgang?», hörte sie plötzlich Martins Stimme dicht neben ihrem Ohr. Ihre Nackenhärchen stellten sich auf, und sie fuhr erschrocken zu ihm herum.
Martin lächelte amüsiert. «Verzeiht, aber ich konnte mich nicht beherrschen. Ihr wart so sehr in die Betrachtung meines Besitzes vertieft … Ich hoffe, er findet Eure Zustimmung?»
Da sie sich in seiner Gegenwart ausgesprochen unwohl fühlte, trat sie unwillkürlich noch einen Schritt zurück, bevor sie antwortete. «Ihr habt ein ansehnliches Haus, Herr Wied. Das wisst Ihr selbst; ich muss es Euch nicht bestätigen.»
«Dennoch hätte ich gedacht, dass die Höflichkeit Euch einen Kommentar entlockt.»
Luzia runzelte leicht die Stirn. «Ihr stellt mein Benehmen in Frage, noch bevor ich Euer Haus betreten habe? Haltet Ihr das für höflich?»
Abwehrend hob Martin beide Hände. «Nicht doch, Jungfer Luzia, nichts liegt mir ferner! Eigentlich bin ich nur hier, um Euch willkommen zu heißen.»
«Was Ihr jedoch bisher verabsäumt habt, Herr Wied.»
Martin lachte, obwohl er spürte, wie leichter Unmut in ihm aufstieg. «Das lässt sich ja leicht nachholen, nicht wahr: herzlich willkommen. Bitte sehr, durch diese Tür.» Er wies auf einen Seiteneingang des Wohnhauses.
Luzia nickte nur und ging auf die Tür zu. Dabei sah sie sich suchend nach Elisabeth um, doch Alban schien sie und Johann bereits nach drinnen geführt zu haben.
Das Abendessen verlief heiterer, als Luzia angenommen hatte. Am Tisch saßen außer ihr, Elisabeth, Johann und Martin auch noch dessen Mutter, sein jüngerer Bruder und seine beiden Schwestern Marcella und Arietta, beides ausgesprochen hübsche und wohlerzogene Mädchen, die sich bald angeregt mit Elisabeth über die neueste Kleidermode unterhielten.
Luzia saß, ihrem Rang entsprechend, am unteren Ende der Tafel, sodass ihr kaum eine Möglichkeit blieb, sich am Gespräch zu beteiligen. Sie war froh, dass sie sich die meiste Zeit des Abends nur darauf konzentrieren musste, sich beim Essen tadellos zu benehmen.
Martin hatte an diesem Gastmahl nicht gespart. Fisch, Geflügel, mehrere Sorten Gemüse, Obst, Käse und süße Wecken sowie eine sündhaft leckere Birnencreme hatte er zubereiten lassen. Anfänglich pickte Luzia an allem nur ein wenig herum; nachdem sich aber ihre Nervosität etwas gelegt hatte, ließ sie sich Zeit, das gute Essen zu genießen. Das gab ihr außerdem die Gelegenheit, den Gesprächen ringsum zu lauschen, ohne neugierig zu wirken.
Martin beachtete sie glücklicherweise seit dem Betreten der Stube nicht mehr weiter. Er war in ein Gespräch mit Johann über irgendwelche Zölle und einen Juden namens Muskin verwickelt. Da sich die beiden Männer am anderen Ende der Tafel befanden, verstand sie nicht viel, deshalb wandte sie sich bald wieder dem Gespräch der Frauen zu. Erst als sich Marcella, die ältere der beiden Schwestern, ihrem Bruder gegenüber zu Wort meldete, horchte sie wieder auf. «Konrad sagte, du hättest vor, dir Geld zu leihen. Warum bist du dazu nicht zum Kauwerziner Hof gegangen?»
Nicht nur Luzias Aufmerksamkeit war durch diese direkte Frage geweckt. Die Gespräche am Tisch verstummten.
Martin warf seiner Schwester einen strengen Blick zu, auf den hin sie nur kurz den Kopf senkte, jedoch sogleich wieder hob. «Rigo de Beerte würde dir bestimmt Geld leihen. Das tun die Geldwechsler doch alleweil, oder nicht?»
«Sicher tun sie das», antwortete Martin freundlich, jedoch mit dem ehernen Unterton, den Luzia schon einmal
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