Die Gewürzhändlerin
wohl den Pfarrer oder einen anderen Schriftgelehrten hinzuziehen müssen, um den genauen Inhalt vollständig übersetzen zu lassen. Eines aber ist zumindest sicher: Das Testament stammt von meinem Ahnvater, Maternus von Wied, der sich wiederum als Sohn eines gewissen Radulf von Wied ausgibt.»
«Arnolds Halbbruder», sagte Elisabeth tonlos und tauschte einen kurzen Blick mit Luzia, deren Miene noch immer Fassungslosigkeit ausdrückte.
«Arnold?» Martin sah die Gräfin fragend an.
Elisabeth räusperte sich. «Arnold von Wied war Reichskanzler während des Zweiten Kreuzzugs und ein Bruder Siegfrieds von Kempenich. Bisher war Arnold unsere einzige Verbindungsstelle in unseren Nachforschungen. Bruder Georg hat sich sehr bemüht, mehr über Arnolds Geschwister herauszufinden, doch da sein Vater mehrere uneheliche Kinder hatte, deren Namen in den noch existierenden Quellen nicht genannt werden, konnten wir bisher nie beweisen, dass es Radulf tatsächlich gab.»
«Nun mal einen Augenblick!» Augusta hob die Hand. «Wollt Ihr mir sagen, dass wir mit dem Grafengeschlecht der Kempenicher verwandt sind?» Sie schüttelte den Kopf. «Aber was soll mir das bedeuten? Diese Verwandtschaft liegt doch wohl so lange zurück, dass sie für uns wenig interessant sein dürfte.» Sie sah Martin fragend an. «Worauf willst du hinaus?»
Martin lächelte leicht. «Dazu komme ich jetzt, Mutter. Wie gesagt, Radulf ist einer meiner Vorfahren. In der Tat wäre die verwandtschaftliche Verbindung an sich für unsere Familie nicht weiter interessant, wenn da nicht dieser Schwur wäre, den unsere Ahnväter einander geleistet haben.»
«Ein Schwur?» Konrad hob überrascht den Kopf. «Was für ein Schwur?»
Martin blickte kurz zu Elisabeth, dann antwortete er bedächtig. «Da mich die Jungfer Luzia überhaupt erst auf die Spur jener Begebenheit gebracht hat, halte ich es für recht, wenn sie euch berichtet, was sich damals zugetragen hat.» Abwartend und ein wenig herausfordernd blickte er zu ihr hinüber.
Luzia wurde blass. Was dachte sich Wied dabei, sie derart bloßzustellen? Jedem im Raum war klar, dass sie vom Stand her nicht in diese Runde passte. Selbst als bürgerliche Leibmagd gehörte sie nicht hierher. Wenn sie jetzt preisgab, dass ihre Eltern einfache Bauern gewesen waren, wäre das bisschen Ansehen, das sie derzeit noch genoss, vollkommen dahin. Und was würde dann aus ihr und Anton werden? Das Geheimnis würde natürlich alsbald die Runde machen, und niemand würde sich mehr mit ihr abgeben wollen. Damit wäre dann auch ihr Plan zunichtegemacht, eine Lehrstelle für Anton zu finden. Welcher ehrbare Handwerker nahm schon einen Bauernjungen in die Lehre? Maßloser Zorn stieg in Luzia auf. Sie warf Martin einen wütenden Blick zu, den dieser jedoch mit Gleichmut erwiderte.
Da nun aber alle Gesichter abwartend und neugierig auf sie gerichtet waren, blieb ihr nichts anderes übrig, als seiner Aufforderung nachzukommen. Kurz sah sie hilfesuchend in Elisabeths Richtung, doch diese zuckte nur unmerklich mit den Schultern und lächelte ermutigend.
Luzia bemerkte, dass sie noch immer nervös mit ihrem Löffel spielte, deshalb faltete sie zunächst ihre Hände und richtete sich, ähnlich wie Martin zuvor, ein wenig auf. Ihr Herz klopfte unstet, doch sie bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. Martins Blick wich sie allerdings aus.
«Es begab sich, wie Herr Wied bereits sagte, auf dem Zweiten Kreuzzug ins Heilige Land», begann sie und merkte, dass ihr das Reden leichter fiel als gedacht. Sie hatte die Geschichte in ihrem Leben so oft gehört und noch öfter mit Elisabeth besprochen, dass sie sich darin vollkommen sicher fühlte. «Damals zog ein Predigermönch namens Bernhard von Clairvaux durch das Land und forderte alle Landesherren auf, nach Jerusalem zu ziehen, um die Stadt von den Heiden zu befreien. Auch in Kempenich machte Bernhard halt, und der damalige Burgherr Siegfried, der selbst nicht ins Heilige Land ziehen konnte oder wollte, stattete einen seiner Verwandten, jenen Radulf von Wied, mit Männern, Pferden, Rüstungen und Proviant aus. Einer der Männer, die mit Radulf zogen, war Jost Bongert, mein Ahnvater.» Luzia hielt einen Moment inne und atmete tief durch. Sie würde keinesfalls erwähnen, dass Jost als leibeigener Bauer auf Kempenicher Land gelebt hatte. Sollte Martins Familie ruhig glauben, dass er ein Knappe, Ritter oder was auch immer gewesen war. Entschlossen hob sie ihr Kinn ein wenig und wagte
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