Die Gewürzhändlerin
vorsichtig durch ihre Finger gleiten. «Sie fühlt sich merkwürdig an, nicht wahr?»
«Merkwürdig?» Martin hob eine Augenbraue, dann lächelte er. «Es war mein kleines Geheimnis, schätze ich. Ich fand es aufregend, etwas zu besitzen, von dem niemand etwas wusste. Wie hätte ich auch ahnen können, dass diese Kette Teil einer Reliquie ist – und noch dazu so eng mit unserer Familiengeschichte verbunden?»
Luzia, der bewusst wurde, dass sie noch immer dicht neben dem Kaufmann stand, wandte sich rasch ab und ging zu ihrem Platz am Ende der Tafel zurück. Schon damals auf Burg Kempenich hatte sie vermutet, dass Wied ein Nachfahre Radulfs sein könnte. Nicht nur wegen seines Namens, gestand sie sich ein. Seit sie ihm zum ersten Mal begegnet war, hatte sie unbewusst eine Verbindung gespürt. Nun, da sich ihr Verdacht bestätigt hatte, wusste sie nicht, ob sie sich darüber freuen sollte. Es stimmte, was Anton gesagt hatte. Sie war dem Kaufmann ausgewichen, wann immer er in ihrer Nähe aufgetaucht war. Sie konnte sich einfach nicht an den Anblick seiner Brandnarben gewöhnen. Doch was noch schwerer wog, war die Tatsache, dass sie sich in seiner Gegenwart ausgesprochen unwohl fühlte. Wenn er sie ansah, hatte sie den Eindruck, er könne durch sie hindurchsehen, und sein gewandtes, aalglattes Benehmen verunsicherte sie zutiefst. Einem Mann wie ihm war sie bislang noch niemals begegnet; sie fühlte sich ihm unterlegen, nicht nur weil sie weit niedriger geboren war als er. Gleichzeitig reizte sie seine manchmal provokante Art ihr gegenüber. Sie fürchtete, ihre Zunge nicht im Zaum halten zu können, wenn er es auf eine Konfrontation anlegte. Und das würde sie mit Sicherheit in größte Schwierigkeiten bringen.
Da das Gespräch am Tisch weitergeführt wurde, riss sich Luzia von diesen Gedanken rasch wieder los.
«Ich würde Euch gerne aufsuchen, Frau Elisabeth, um mir die fehlenden beiden Teile des Kruzifixes anzusehen», sagte Martin gerade. «Da ich jedoch noch einige geschäftliche Dinge zu erledigen habe, kann ich nicht genau sagen, wann ich die Zeit dafür finden werde.»
Elisabeth warf Johann einen Blick zu. «Das macht nichts, Herr Wied. Kommt einfach zu uns, wenn Ihr die Zeit findet. Nicht wahr, Johann, wir freuen uns immer über Besuch.»
«Aber sicher», stimmte Johann zu. «Zwar kann ich dieser ganzen Geschichte mit dem Schwur nicht zu viel Bedeutung beimessen, doch ich bin neugierig, wie die drei Teile zusammen aussehen werden.»
Er und Elisabeth tauschten einen weiteren Blick, dann sah sie zu Luzia hinüber. Alle drei wussten, was Johann mit seiner Andeutung meinte. Sie hatten Martin noch nichts über die ungewöhnlichen Fähigkeiten gesagt, die das Kruzifix besaß.
Luzia war froh, dass Elisabeth nichts davon erwähnt hatte. Sie hatte das Gefühl, dieses Detail sei nicht dazu angetan, in dieser großen Runde besprochen zu werden. Je weniger Personen von dem Geheimnis wussten, desto besser. Vorsichtig blickte sie zu Augusta hinüber, die in diesem Moment die Kette wieder an ihren Sohn zurückgab. Martins Mutter hatte bereits einen Verdacht gegen sie geschöpft, und dass sie die merkwürdigen Schwingungen gespürt hatte, die von der Kette ausgingen, machte Luzia Sorgen. Zwar wusste sie nichts über die Frau, aber das Misstrauen, das diese ihr entgegenbrachte, ließ Luzia auf der Hut sein.
Nach Martins überraschender Enthüllung neigte sich der gemeinsame Abend rasch seinem Ende zu. Es wollte kein neues Gespräch in Gang kommen; zu überrascht waren alle über das, was sie soeben vernommen hatten. Deshalb beschlossen Elisabeth und Johann bald darauf aufzubrechen.
Luzia war ihnen sehr dankbar, enthob sie dies doch der Gefahr, etwaige Fragen über ihre eigene Familie beantworten zu müssen.
Kaum saß sie mit der Gräfin in der Sänfte, ergriff Elisabeth ihre Hände, drückte sie und erklärte: «Ist das nicht aufregend? Ausgerechnet Johanns guter Freund besitzt den dritten Teil unseres Kreuzes. Ich kann es noch gar nicht recht begreifen.» Als Luzia nichts darauf antwortete, legte Elisabeth verwundert den Kopf auf die Seite. «Was ist mit dir, Luzia? Freust du dich denn gar nicht?»
«Nein», entfuhr es Luzia, noch bevor sie sich selbst Einhalt gebieten konnte.
«Nein?», echote Elisabeth und richtete sich ein wenig auf. «Warum nicht?»
Luzia biss sich auf die Unterlippe. «Versteht mich nicht falsch, Herrin. Natürlich bin ich froh, dass die Kette nun wiederaufgetaucht ist. Aber ich denke noch
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