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Die Gilde der Diebe

Titel: Die Gilde der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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ihnen auftauchte. Ein hohes Gebäude von getragener Eleganz im belebten Zentrum der Hauptstraße. Steinerne Stufen führten hinauf zum von Fackeln umrahmten Haupteingang. Raquella legte den Kopf in den Nacken und erblickte eine lange Balustrade, die den Balkon im ersten Stock umschloss. Der Rest des Gebäudes wurde vom Nachthimmel verschluckt. Auf der Straße vor dem Theater versuchte ein großer, betrunkener Mann in einem Heroldskostüm, den Kartenverkauf anzukurbeln.
    »Wagen Sie es, einzutreten?«, rief er. »Wagen Sie sich in die Welt von Mountebank dem Mächtigen – dem Meister des Makabren, dem Mann, der den Teufel persönlich überlistet hat? Seine Zauberkunststücke werden Sie in Erstaunen und Begeisterung versetzen. Diejenigen, die ein schwaches Herz haben, mögen bitte weitergehen!«
    Obwohl die Lautstärke seiner reißerischen Rede zunahm, schenkte dem Herold niemand aus dem Strom der Passanten Beachtung.
    Am Eingang saß eine gelangweilte alte Dame an der Kasse. Carnegie rauschte an ihr vorbei.
    »He!«, quäkte sie entrüstet. »Wo wollen Sie denn bitte hin, junger Mann?«
    »Rein«, erwiderte er gereizt.
    »Das kostet Sie einen Viertelguinea pro Nase.«
    Carnegie klopfte die Taschen seiner Weste ab und warf Raquella einen Hilfe suchenden Blick zu. Das Dienstmädchen seufzte und holte zwei Münzen hervor.
    »Du bist ein echter Gentleman«, schalt sie den Wermenschen.
    »Du bekommst es zurück«, erwiderte er beleidigt. »Ich begleiche meine Schulden immer.«
    »Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.«
    Im Vergleich zu seiner großartigen Fassade hatte das Foyer des »Kinski« seine beste Zeit schon hinter sich. Der altersschwache grüne Teppich war mit Flecken übersät und in der Luft hing der strenge Geruch von billigem Alkohol. An den Wänden hingen zerrissene Plakate, die von solch abwechslungsreichen Vergnügen wie Der blutrünstige Barde, Doktor Faustus’ Teufelschor oder Susi, die sagenhafte Schlangenflüstererin kündeten. Raquella fragte sich, wie das Theater wohl ausgesehen hatte, als es eröffnet wurde. Hatte das Messing geblitzt und hatten die Lichter hell geleuchtet oder war das Foyer genauso verwahrlost gewesen wie jetzt?
    Carnegie betrachtete die Szenerie mit Abscheu.
    »Hübsch.«
    »Du warst noch nie hier?«, fragte Raquella überrascht.
    »Ich bin nicht gerade der klassische Theaterbesucher. Komm, wir haben schon den Anfang der Vorstellung verpasst.«
    Er stieß die Schwingtüren auf und betrat den Zuschauerraum. Es war ein riesiger Raum, der von zahllosen Sitzreihen durchzogen wurde, die sich an die Bühne anschlossen. An den Seiten befanden sich Logen. Die hohe Decke zierte ein detailreiches Gemälde, auf dem Clowns einen blutigen Kampf austrugen. Der Zuschauerraum war weitgehend leer, bis auf ein paar einzelne Köpfe in der ersten Reihe. Das Echo der vergangenen Vorstellungen, der tosende Applaus, das Gelächter und der Jubel des Publikums waren längst verhallt und stattdessen machte sich eine traurige Untergangsstimmung breit.
    Mountebank der Mächtige stand allein auf der Bühne. Er bot einen beeindruckenden Anblick. Seine Haut war vollkommen blass und sein Kopf wurde von einer dünnen Lage weißer Haare bedeckt. Seine Augen waren blutrot. Er trug einen schillernd weißen Anzug, der seine blasse Hautfarbe betonte, und ein dazu passendes rosa Taschentuch, das aus seiner Brusttasche lugte.
    Als Raquella und Carnegie sich im hinteren Teil des Zuschauerraums hinsetzten, klatschte er in die Hände, und ein Rabe flog laut krächzend durch den Saal. Er kreiste höher und höher durch die Luft, bevor er zur Bühne zurückkehrte und sich auf der Schulter des Magiersniederließ. Der wiederum verbeugte sich im Lichte des nicht vorhandenen Applauses.
    »Sie sind zu liebenswürdig. Vielen Dank. Kommen wir nun zu meinem größten Zaubertrick, für den ich eine furchtlose Assistentin benötige. Dann wollen wir mal sehen …« Er ließ seinen Blick über das spärliche Publikum schweifen. »Wie wäre es mit der jungen Dame … dort?«
    Mountebank zeigte genau auf Raquella. Sie stöhnte und ließ sich tiefer in den Sitz sinken.
    »Oh, großartig. Was machen wir jetzt?«, zischte sie.
    »Geh da rauf«, flüsterte Carnegie zurück. »Er ist der Mann, wegen dem wir hier sind, oder? Prima Gelegenheit, ihn kennenzulernen.«
    Raquella erhob sich widerwillig von ihrem Sitz, als ein Schubser des Wermenschen sie in den Gang stolpern ließ. Das Publikum klatschte halbherzig. Sie fluchte leise vor sich hin

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