Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Gilde der Diebe

Titel: Die Gilde der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
Vom Netzwerk:
gearbeitet. Er hatte sie ständig daran erinnert, dass ihr Leben am seidenen Faden hing. Nun, jetzt hatte er sie zur Seite gestoßen wie ein kaputtes Spielzeug, und sie würde nicht einfach tatenlos zusehen, wie Jonathan und der Rest der Gilde über ihr Schicksal entschieden. Dies war ihre Wahl, und jetzt hatte sie die Fäden in der Hand. Zumindest würden ihre Erkundigungen die Chance verbessern, dass die Gilde ihre Mission erfolgreich zu Ende bringen konnte. Und man wusste nie, vielleicht ergab sich sogar die Gelegenheit, dass sie den Purpur-Stein selbst stehlen konnte. Bei diesem Gedanken musste Raquella grinsen.
    Xaviers Anwesen war in eine unheimliche Dunkelheit gehüllt. Schatten breiteten sich auf dem gewundenen Gemäuer aus. Der Wind rüttelte verschwörerisch an den Bäumen. Raquella marschierte zum Haupttor und klingelte. Nach einer längeren Pause tönte eine Stimme aus dem Lautsprecher.
    »Ja?«
    »Bitte, Sir, ich bringe eine Nachricht für Mister Cornelius Xavier.«
    »Mister Xavier hat kein Interesse. Verschwinden Sie.«
    »Aber, Sir«, protestierte Raquella. »Es handelt sich um eine überaus wichtige Nachricht. Von meinem Meister, Vendetta.«
    Gespannt hielt sie den Atem an. Dann ertönte ein Klicken und das Tor öffnete sich. Raquella ging vorsichtig die Auffahrt entlang, klopfte an der Tür und nahm die dienstbeflissene und demütige Haltung eines Dienstmädchens ein.
    Ein großer Mann in einem schwarzen Anzug öffnete die Tür.
    »Kommst du von Vendetta?«, fragte er schroff.
    »Ja, Sir. Ist Mister Xavier zu Hause?«
    »Mister Xavier ist immer zu Hause.«
    Der Diener stieß die Tür ein Stück weiter auf und bedeutete ihr einzutreten. Mit respektvoll gesenktem Kopf betrat sie Xaviers Haus. Der Diener führte sie durch den abgedunkelten Eingangsbereich hindurch und einen langen Korridor entlang. Sie sah sich verstohlen um, weil sie hoffte, irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen zu entdecken, aber die Vorhänge waren zugezogen, und ihre Augen brauchten eine Weile, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Am Ende des Korridors fiel ein Lichtstrahl durch eine halb geöffnete Tür.
    »Mister Xavier ist im Salon«, verkündete der Mann.
    Raquella ging vorsichtig an ihm vorbei und betrat den Salon. Eine einzelne Gaslaterne beleuchtete den Seidenhändler, der sich auf einem Diwan ausgestreckt hatte. Seine Augen waren geschlossen. Die ledrige Haut war von zahlreichen tiefen Falten durchzogen und kündete von einem sehr hohen Alter. Sein bulliger, missgestalteter Körper steckte in einem luxuriösen violetten Morgenmantel.
    Raquella räusperte sich höflich.
    »Ich habe mich schon gefragt, wann Vendetta versuchen würde, mir den Stein abzujagen«, keuchte Xavier. »Ich muss gestehen, ich dachte, er würde größere Boten schicken. Mit Waffen.«
    Der Seidenhändler hatte immer noch die Augen geschlossen, dennoch schien er genau zu wissen, mit wem er es zu tun hatte. Raquella machte einen Knicks, um von ihrer Verwirrung abzulenken.
    »Mein Meister hat mir aufgetragen, Ihnen zu Ihrer neusten Erwerbung zu gratulieren. Wie Sie sicherlich wissen, handelt es sich um ein Stück, das er überaus schätzt und das er liebend gerne besitzen würde …«
    »Liebend gerne? Vendetta?« Xavier schnaubte. »Das kann ich kaum glauben. Wenn du nicht gekommen bist, um mich zu überfallen, dann mach mir ein Angebot, junge Dame. Du fängst an, mich zu langweilen.«
    Raquella atmete tief durch.
    »Mein Meister ist bereit, Ihnen das Doppelte dessen zu zahlen, das Sie bei der Auktion bezahlt haben.«
    Xavier tippte seine Fingerspitzen gegeneinander und erhob sich schwerfällig von dem Diwan. Erschlurfte auf sie zu. Raquella unterdrückte den Drang, zurückzuweichen.
    »Meinen Preis verdoppeln, sagst du? Was für ein großzügiges Angebot. Leider muss ich es ausschlagen. Der Stein stellt für mich einen gewissen … emotionalen Wert dar.«
    Etwas an der Art und Weise, wie der Mann sich bewegte, beunruhigte Raquella. Er musterte sie langsam von oben bis unten, wie ein Raubtier, das seine Beute fixiert.
    »Dann gibt es also nichts, was mein Meister Ihnen anbieten könnte, um Sie umzustimmen?«, fragte sie ein wenig verzweifelt.
    Xavier machte sich diesmal nicht einmal die Mühe, zu antworten. Er leckte sich mit seiner pelzigen weißen Zunge über seine spröden Lippen und musterte Raquella immer noch. Das Dienstmädchen verspürte den starken Drang, so schnell wie möglich aus dem Salon zu verschwinden.
    »Nun«, sagte sie eilig, »wenn

Weitere Kostenlose Bücher