Die Gilde der Diebe
war es kaum mehr als ein Flüstern.
»Nicht ein Tag ist seitdem vergangen, ohne dass ich an diesen Augenblick denke und mir wünsche, ichhätte sie festhalten können. Aber, Antonio, ich habe es dir damals geschworen und ich schwöre es heute wieder: Ich habe den Tresor nicht geknackt und ich habe den Smaragd nicht gestohlen. Du hast recht, Ariel war eine unglaublich gute Diebin. So gut, dass sie nicht aufhören konnte. In dieser Nacht habe ich sie dabei erwischt, wie sie mit dem Smaragd in der Hand aus dem Fenster geklettert ist. Ich habe versucht, sie aufzuhalten.«
»Lügner!« Correlli sprang auf und ballte die Fäuste. »Ariel hätte uns nie betrogen! Sie hätte mich nie betrogen!«
»Ich wollte es auch nicht wahrhaben«, erwiderte Mountebank ruhig. »Sie war meine Assistentin. Ich habe schon viele Jahre mit ihr zusammengearbeitet, bevor es die Gilde überhaupt gab. Aber du hast sie mit dem Smaragd in ihren Händen gesehen. Traue deinen Augen, wenn du mir schon nicht traust.«
Der Feuerschlucker näherte sich auf wenige Zentimeter dem Gesicht des Magiers.
»Ich werde dir nie glauben. Nur noch dieser letzte Auftrag, Taschenspieler, und dann bete lieber, dass du mich nie wieder siehst.«
Correlli stieß seinen Stuhl zur Seite und stapfte zurück ins Haus. Fray ging ihm nach und warf ihrer Zwillingsschwester einen vernichtenden Blick zu. Mountebank tupfte sich mit seinem rosa Taschentuch das Gesicht ab und lächelte Jonathan verlegen an.
»Wie du siehst, haben Antonio und ich es nicht geschafft, unsere Differenzen beizulegen. Er wird mir nieglauben, egal was ich sage. Er hat dieses Mädchen geliebt. Und sie hat ihn betrogen. Es ist so viel einfacher, dem Albino die Schuld zu geben.« Er ließ die Luft aus seinen bleichen Wangen entweichen und setzte sich.
»Großartig«, erwiderte Jonathan verbittert. »Raquella ist verschwunden, und Sie haben nichts Besseres zu tun, als sich zu streiten.«
Carnegie räusperte sich.
»Nun, wir müssen alle sehen, wie wir die nächsten Stunden miteinander auskommen, denn es gibt da ein Anwesen, das wir ausrauben müssen.«
Mountebank blickte überrascht auf.
»Heute Nacht? Aber wir haben das doch für morgen Nacht geplant … wir sind noch nicht so weit!«
»Kleine Planänderung«, brummte der Wermensch. »Der Junge hat recht, Raquella ist unsere Freundin. Ich weiß nicht, in welche Schwierigkeiten sie sich an diesem Ort gebracht hat, aber ich werde sie dort nicht eine Sekunde länger als unbedingt nötig allein lassen. Falls du oder Correlli oder sonst wer mit mir darüber diskutieren will, soll es mir nur recht sein. Ich habe eine Menge darüber gehört, wie gut die Gilde ist. Es ist Zeit, dass ihr es mir beweist. Wir brechen heute Nacht auf.«
17
20.15 Uhr
Als der Transporter langsam vor dem Wachhäuschen am Ende der Slavia Avenue vorfuhr, verkrampften sich Jonathans Eingeweide. Es war nicht der Adrenalinrausch, den Gefahrensituationen in der Vergangenheit ausgelöst hatten, sondern die kalte, Übelkeit erregende Nervenanspannung. So viel konnte schiefgehen, dass es beinahe unmöglich erschien, den Raub erfolgreich durchzuführen. Seine Gedanken drehten sich um Raquella. Obwohl er sie am liebsten anschreien würde, weil sie so unvorsichtig gewesen war, konnte Jonathan den Gedanken nicht ertragen, dass sie in Gefahr war und sie vielleicht nicht in der Lage waren, sie zu retten. Er versuchte, den Gedanken zu ignorieren, dass es schon zu spät sein könnte.
»Hier, nimm einen davon.«
Jonathan schaute auf und sah, dass Correlli ihm einen Kaugummi hinhielt.
»Dann hat dein Gehirn etwas anderes, womit es sich beschäftigen kann. Und vergiss nicht, genervt auszusehen, in Ordnung?«
Der Feuerschlucker hatte seine auffällige Kleidung unter einem Arbeitsoverall und einer orangefarbenenWarnweste verborgen und trug einen Bauhelm, wodurch er fast nicht wiederzuerkennen war. Er hatte die Planänderung erstaunlich ruhig aufgenommen. Seine Augen sahen konzentriert aus, sein Körper war angespannt. Correlli war jetzt bei der Arbeit. Er hielt den Wagen am Wachhäuschen an, kurbelte das Fenster runter und grüßte den Wachmann.
»Tach, Chef«, sagte er mit gespieltem Londoner Akzent. »Haben ’nen Notruf aus der Straße hier bekommen.«
Er hielt die Berechtigungskarte hoch, die an einer Kette um seinen Hals hing. In Wahrheit war die Karte ein alter Bibliotheksausweis, daher war Jonathan erleichtert, dass der Wächter nicht genau hinsah. Stattdessen blickte der Mann auf sein
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