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Die Gilde der Diebe

Titel: Die Gilde der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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zielte sie auf Xaviers Haus und drückte ab. Druckluftzischte und ein Haken schoss aus der Kanone, der ein Stahlseil hinter sich her zog. Mit einem zufriedenen »Plopp« krallte er sich in das Mauerwerk knapp oberhalb eines Balkons im zweiten Stock. Nettle schlang das andere Ende des Drahtseils um den Schornstein hinter ihnen, sodass sich nun zwischen den Häusern ein dünnes Seil straff spannte, das steil bergab verlief.
    Fray überprüfte seine Tragfähigkeit.
    »Nicht schlecht«, gab sie widerwillig zu. »Ich gehe als Erste.«
    Sie setzte ein kleines Gerät, eine geschmierte Seilrolle, die auf dem Kabel entlanglaufen konnte, auf und steckte ihre Hände durch die Lederschlaufen, die darunter hingen.
    »Wir sehen uns unten wieder«, sagte Fray und sprang vom Dach.
    Obwohl ihm die Gilde alles über den »Todesgleiter« erzählt hatte, war Jonathan trotzdem von dem Anblick fasziniert. Die Akrobatin rauschte am Seil entlang durch die Nacht in die Tiefe. Mit grazilen Bewegungen ihres Körpers steuerte sie die gefährliche Fahrt. Sie schwebte über die Grundstücksmauern und näherte sich Xaviers Haus von der Seite. In letzter Sekunde wurde der Bremsmechanismus ausgelöst und sie kam zum Stehen. Fray sprang auf den Balkon runter und hielt den Daumen hoch.
    Einer nach dem anderen folgten ihr die Mitglieder der Gilde auf dem »Todesgleiter«, bis nur noch Carnegie und Jonathan auf dem Dach standen. Jonathan setzte mit zitternden Händen seine Seilrolle auf das Kabel auf.
    »Alles in Ordnung, Junge?«
    Er nickte.
    »Was auch immer passiert, lass nicht los.«
    Jonathan lachte nervös auf. Er steckte seine Hände durch die Schlaufen und tastete sich zum Rand des Dachs vor. Es war eine schwindelerregende Höhe. Er dachte an Miss Elwood, an Raquella und an seine Mutter. Er blickte hinüber zur Gilde, die auf dem Balkon auf ihn warteten. So viele Menschen zählten auf ihn. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um einen Rückzieher zu machen.
    Jonathan holte tief Luft und sprang vom Rand des Gebäudes.
    Seine Muskeln spannten sich schlagartig an, als sie sein Körpergewicht auffingen. Die Seilrolle rutschte mühelos auf dem Kabel entlang und zog ihn mit hoher Geschwindigkeit Xaviers Haus entgegen. Er hätte am liebsten geschrien, aber die Luft war aus seinen Lungen entwichen. In dieser Höhe pfiff ihm der kalte Wind beißend um die Ohren. Als er über die Grundstücksmauer flog, zog Jonathan aus Angst vor den Metalldornen seine Beine an. Die Riemen schnitten ihm in die Handgelenke, aber noch musste er sich festhalten.
    Auf der Straße konnte er Xaviers Wachen erkennen, die um Vervs Autowrack herumliefen. Die Kunst der Irreführung hatte Mountebank es genannt. Vielleicht hätte einer der Wachen Jonathans Schatten am Nachthimmel gesehen, wenn er nach oben geblickt hätte, aber das tat keiner von ihnen.
    Xaviers Haus wurde größer und größer und sein Schatten verschluckte Jonathan. Jetzt konnte er die reichlich verzierten Säulen und Fenster erkennen, die kunstvoll gestalteten Balustraden und die Wasserspeier, die ihm vom Dachfirst aus anstarrten. Er glitt weiter und wurde immer schneller und schneller, bis es schließlich so schien, als würde er geradewegs gegen die Wand krachen. Unwillkürlich schloss er die Augen.
    Ein Quietschen ertönte, als die Bremse am Ende des Seils ausgelöst wurde und Jonathan so abrupt zum Stehen brachte, dass er sich beinahe die Arme ausgekugelt hätte. Er unterdrückte einen Schmerzensschrei, ließ sich auf den Balkon fallen und wurde dort von zahlreichen Händen in Empfang genommen, die ihm auf die Schulter klopften und ihm durch die Haare wuschelten. Während Carnegie ihnen entgegenrutschte, betrachtete Jonathan seine wunden Handflächen. Mountebank kniete neben ihm und arbeitete an dem Fensterschloss. Als der Wermensch auf dem Balkon ankam, hatte er es bereits geknackt.
    Der Magier öffnete vorsichtig das Fenster und die Gilde schlüpfte hindurch. Sie befanden sich in einem geräumigen Wohnzimmer, das im Dunkeln lag. Sie konnten lediglich einige Silhouetten um sich herum ausmachen. Zahllose Gegenstände standen oder lagen auf dem Boden. Correlli zog eine kleine Taschenlampe hervor und beleuchtete mit einem schmalen Lichtkegel die Umgebung. Überrascht stellte Jonathan fest, dass der Raum voll mit Antiquitäten war: Statuen, Porzellanteller, Silberbesteck und schlanke, mit Landschaftsmotivenverzierte Vasen. Zu seinen Füßen lag ein Stapel Gemälde. Er hob eines davon auf. Allein dem Rahmen nach

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