Die Gilde von Shandar: Die Spionin
sich alles so schön ineinander, und man kann hoffen, dass sich das Blatt zu gegebener Zeit wieder wenden wird.«
Shalidar lachte, und die Messerspitze an ihrem Hals zitterte, als er seinem Vergnügen Ausdruck verlieh. Aus einem winzigen Schnitt rann ihr etwas Blut den Hals entlang und kitzelte sie. Noch eine Wunde! Auch wenn es nur ein Kratzer war, schäumte Femke innerlich. Es muss einen Ausweg geben – es muss!
»Was ich jetzt mit dir tun werde? Nun, ich werde dich natürlich laufen lassen!«, erwiderte Shalidar, immer noch lachend, während er Femke sagte, was sie als Letztes zu hören erwartet hatte. »Du wirst der königlichen Garde sicherlich eine Weile entkommen können, aber am Ende wirst du doch geschnappt werden. Du kannst nirgendwohin, daher bin ich sicher, dass du dein Bestes geben wirst, deine Unschuld zu beweisen. Ich wäre furchtbar enttäuscht, wenn du es nicht einmal versuchen würdest. Es wird dir natürlich niemand glauben, selbst wenn es dir gelingen sollte, dem König oder seinen engsten Beratern zu erzählen, was gerade geschieht. Die Beweise gegen dich sind geradezu erdrückend. Nun, ich schlage vor, dass du dich ganz ruhig verhältst, wenn ich das Messer wegnehme. Wenn nicht, dann bin ich gezwungen , dich zu töten, was nach der Mühe, die ich in dieses kleine Spiel investiert habe, sehr enttäuschend wäre. Also bleib so lange hier, bis ich weg bin. Wenn du zu früh gehst, werde ich dich beim Verlassen des Hauses umbringen. Gehst du zu spät, wirst du von der königlichen Garde überrannt. In den nächsten paar Minuten werden sie deine Spur wieder aufgenommen haben. Viel Spaß, Femke!«
Das Messer an ihrer Kehle verschwand, und Femke hatte das Gefühl, als ob sich Shalidar bewegte, auch wenn sie nichts hören konnte. Eine Schweißperle lief ihr über die Stirn. Wie lange sollte sie warten? War er tatsächlich weg? Shalidar war zu gut darin, sich leise zu bewegen, als dass sie es hätte sagen können. Die Sekunden verrannen, aber sie war entschlossen, sich nicht der Furcht zu ergeben, die der Killer in ihr ausgelöst hatte. Wenn er noch da war, dann musste er sich seine Beute erst teuer erkämpfen. Wenn nicht, dann würde sie ihm keinen großen Vorsprung geben.
Entschlossen und mit erwartungsvoll klopfendem Herzen warf sie sich seitlich vom Stuhl und rollte sich weg.
»Phagen! Phagen! Hast du es schon gehört?«, stieß Kalheen hervor, als er mit vor Aufregung hochrotem Gesicht in ihr Zimmer platzte.
Phagen seufzte vor Unmut über die Störung auf. Kalheen schien die Bedeutung von Ruhe und Frieden nicht zu verstehen. Der massige Mann war der anstrengendste Zimmergenosse, den er je gehabt hatte. Er legte die Tunika, die er gerade flickte, beiseite und sah Kalheen an, wobei sein geduldiger Gesichtsausdruck seinen Ärger nicht verriet. Es war fast Essenszeit. Er hätte die Tunika bis dahin gerne fertig gehabt, aber das erschien nun unwahrscheinlich.
»Botschafterin Femke ist des Mordes angeklagt worden!«, fuhr Kalheen fort. »Mord, Phagen! Sie ist aus dem Palast in die Stadt geflohen. Ich wäre schon eher gekommen, um es dir zu erzählen, aber die Wachen haben mich befragt, weil ich sie aufgehalten habe, als sie in das Zimmer der Botschafterin wollten.«
»Geht es ihr gut?«, fragte Phagen mit leiser Besorgnis in der Stimme.
»Ich glaube schon. Ich habe gesehen, wie sie über die Mauer geklettert ist. Das hättest du sehen sollen, Phagen! Sie war unglaublich! Sie ist vom Fensterbrett aus in einen Baum gesprungen. Ich schwöre dir, ich hätte nie geglaubt, dass sie das schafft …!«
Kalheen rasselte einen Bericht von Femkes Flucht herunter, der eindeutig übertrieben war, doch Phagen wartete geduldig, bis er geendet hatte.
»Du sagst, der Mord ist letzte Nacht geschehen?«, fragte er, als der große Mann schließlich innehielt, um Luft zu holen.
»Ja, irgendwann tief in der Nacht.«
»Du warst gestern spät noch unterwegs. Hast du etwas Ungewöhnliches gesehen?«
»Nein, nichts. Ich habe … äh … mich mit Neema unterhalten, dem Mädchen, dem wir gestern im Gemeinschaftsraum der Dienerschaft begegnet sind. Wir haben uns nach dem Essen getroffen. Sie ist ein reizendes Mädchen«, erwiderte Kalheen, dessen Gesicht noch roter wurde.
»Nun, ich glaube, wir sollten unsere eigenen Nachforschungen betreiben«, meinte Phagen nachdenklich. »Wenn wir Botschafterin Femke helfen können, dann sollten wir es tun.«
»Richtig, Phagen. Absolut. Ich gehe und hole Sidis und Reynik. Sie
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