Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
du kämst nicht.«
»Bardo!« Sie warf sich auf seine unvorbereitete Gestalt und stieß ihn fast um, bevor er die Arme um sie schließen konnte.
»Was ist los? Was ist passiert, Ranikaleka?«
Sie erschauderte. »Nenn mich nicht so! Ich bin Rani! Ich bin Rani Händlerin!«
Bardo beruhigte sie, während er sie zur nächststehenden, niedrigen Bank führte. »Natürlich bist du das. Wer wollte etwas anderes behaupten?« Seine Stimme klang sanft und tröstlich, eine Erinnerung an die sanfte Berührung ihrer Mutter, als sie noch ein kleines Kind war und mit Albträumen erwachte. »Was ist heute Abend in dich gefahren? Warum kommst du so spät?«
»Ich kann dies nicht tun, Bardo. Sie sind Prinzen – sie sind die königliche Familie. Ich bin nur Rani, ich bin eine Händlerin.«
»Was ist passiert, Rani?« Seine Stimme klang nun härter, und sie hörte den Befehlston hinter seinen Worten. »Was haben sie dir angetan?«
»Nichts!«, schrie sie, und das Wort hallte von der hohen Steindecke wider. Bardo streckte die Hand aus, um sie erneut zu beruhigen, um sie an ihre bedenkliche Lage hier in der Kathedrale zu erinnern. Als sich seine Finger um ihren Arm schlossen und er nur Haut und Stoff spürte, packte er die Schnüre ihrer Tunika und riss sie ihr vom Hals wie ein Jäger, der ein Wild abschlachtet.
»Wo ist der Armreif?« Als sie ihn nur entsetzt anstarrte, umklammerte er mit beiden Händen ihren Bizeps und schüttelte sie, bis ihre Zähne klapperten. »Was hast du mit dem Armreif gemacht?« Die harten Schwielen an seinen Daumen gruben sich in ihre Haut, und sie sah den Bardo, der sie schon einmal zuvor beinahe getötet hatte, der sie wegen der Schlangen der Bruderschaft fast ermordet hatte.
»Ich habe ihn ihm gegeben!«, piepste Rani, als sie wieder zu Atem kam. »Hör auf!«
Bardo ließ sie so plötzlich los, dass sie auf den Steinboden fiel. Noch während sie auf Händen und Knien dort kauerte und nach Atem rang, sah sie den Stiefel ihres Bruders sich bewegen, sich zurückziehen, als wollte er ihr mit der Hartlederspitze seitlich an die Schläfe treten. »Wem gegeben?«, fragte er drängend, während sie sich an die Holzbank kauerte und versuchte, zum kleinsten möglichen Ziel zu werden. »Wer hat die Schlangen?«
»Prinz Halaravilli! Bardo, hör mir zu! Er ist der Gute, derjenige, den wir retten müssen. Die Bruderschaft muss ihn beschützen, wir müssen ihn beschützen, Bardo, bitte glaube mir!«
Bardo atmete geräuschvoll ein, was wie ein Rudel Wölfe in den nächtlichen Hügeln klang, und Rani kauerte sich enger an die Bank und schickte Gebete an all die Tausend Götter, bat darum, dass ihr Bruder zur Vernunft käme. Bardo streckte die Hand aus und umfing ihren Arm, zerrte sie unter der Bank hervor und zwang sie, sich auf das harte Holz zu setzen. »Sage mir, was du weißt.«
Sie begann flüsternd, kämpfte gegen Tränen an, bemühte sich, daran zu denken, dass sie mit ihrem Bruder sprach, mit ihrem eigenen Verwandten. Bardo würde sie beschützen. Bardo würde alles in Ordnung bringen. Bardo würde sie vor Schaden bewahren. Sie erzählte ihrem Bruder alles, was während des langen, langen Tages geschehen war, wie sie zunächst Bashanorandi verdächtigt hatte, dann Halaravilli und dann wieder Bashi.
Bardo hörte zu, zunächst zornig, dann ungläubig. Seine Finger schlossen sich erneut um ihren Arm, während sie sprach, griffen immer fester zu, während sie ihm alles erzählte, was sie erfahren hatte. Sie schloss: »Und daher, als ich heute Abend das Porträt zeichnete, als ich die Knochen hinter den Gesichtern sah, wusste ich, dass Bashi kein wahrer Prinz ist.« Sie wagte es, ihrem Bruder in die Augen zu sehen. »Und ich glaube, ich weiß, wer sein Vater ist. Ich weiß, warum er den Thron will.«
Bardos Stimme klang tonlos. »Warum? Was glaubst du zu wissen?«
»Lord Larindolian«, flüsterte Rani. »Er hat zu viel Macht im Palast. Er war in den Gemächern der Königin, und wenn du dir die Linien von Bashis Gesicht ansiehst…«
Einen kurzen Moment glaubte sie, ihre Worte würden Bardos Zorn neu entfachen, aber dann seufzte er schwer und sank achselzuckend zu Boden. Sie wich vor ihm zurück, aber er legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter, vertraut, kontrolliert, beruhigend.
»Ich sagte Larindolian, dass er ein gefährliches Spiel spielt. Ich sagte ihm, du seist kein Narr.« Rani hielt inne, und Bardo führte das Schweigen fort. Als er wieder sprach, klang seine Stimme erschöpft. »Du wirst
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