Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
dreizehnjähriger Lehrling, der in einer schmutzigen Gasse kauerte und um ihr Leben spionierte. Stattdessen war sie fünf Jahre alt und spielte auf der Schwelle ihres Elternhauses, sprang nach einem Lederball, den Bardo ihr vom Markt mitgebracht hatte. Das Spielzeug war umso wundersamer, weil es keinen Grund für die Großzügigkeit ihres Bruders gab. Bardo lachte sein herzliches Lachen, spielte mit ihr, neckte sie mit dem Ball.
Rani, die sich vermeintlichen Autoritäten nie unterworfen hatte, führte einen harten Tritt gegen das Schienbein ihres Bruders aus. Als er sich herabbeugte, um ihr Bein abzufangen, um seine lästige Mücke von Schwester zur Ruhe zu bringen, packte Rani seinen Arm und riss mit aller Macht an seinem Ärmel. Rani konnte sich selbst jetzt, wo sie in den schmutzigen Straßen eines fremden Stadtviertels kauerte, noch an den Schatten erinnern, der sich über die Schwelle ihres Elternhauses gelegt hatte.
Bardo wurde augenblicklich böse, als sie seinen Arm entblößt hatte. Sie erblickte den gewölbten Muskel unter seiner Tätowierung – vier zornige Schlangen, die ihre roten, kleinen Augen auf das sich plötzlich duckende Mädchen richteten.
Bardo brüllte seine Wut heraus und schüttelte ihren Arm ab, so dass sie auf die Schwelle krachte. Er schlug sie mit dem Handrücken, bevor sie auch nur erkannte, dass ihr der Atem stockte. Seine Finger schlossen sich um ihre Arme, und er schüttelte sie so heftig, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Sie hörte, wie ihre Augen in der Gallertmasse schwappten, und sie konnte die saphirblauen, rubinroten und zitronengelben Lichter nicht wegblinzeln, die ihre Sicht überfluteten.
»Du verfluchte Närrin!« Selbst jetzt verletzten Bardos Worte sie noch, und sie schluckte erinnerte Tränen hinunter. »Erzähle niemals jemandem, was du gesehen hast! Hast du mich verstanden? Erwähne niemals jemandem gegenüber auch nur ein Wort darüber!«
Obendrein hatte Bardo seine starken Finger an ihre Kehle gelegt, und der unheilvolle Druck hatte sie würgen lassen. Sie hatte mühsam eine erstickte Entschuldigung hervorgebracht, ein Versprechen, dass sie das seltsame Muster niemals erwähnen würde.
Und das war alles.
Bardo hatte seinen Arm bedeckt, und dann hatte er ihr ein schmutziges Taschentuch angeboten, um sich das tränenüberströmte Gesicht abzuwischen. Er hatte sie angewiesen, sich die Nase zu putzen, bevor er sie zum Bäcker geführt und ihr erlaubt hatte, sich das größte Kuchenstück auszusuchen, das sie finden konnte. Der Lederball war fort, als sie nach Hause zurückkamen.
Rani wunderte sich, dass sie den Vorfall hatte vergessen können. Ihr geliebter Bardo hatte sie geschlagen wie… wie ein Kind. Bardo hatte sie geschlagen… Und das nur, weil sie eine Tätowierung entdeckt hatte, die der entsprach, die auch Morada um den Arm trug.
Nun fuhr die Ausbilderin Larindolian keuchend an, wobei sie den reinen Zorn aufbrachte, an den sich Rani auch in der Stimme ihres Bruders erinnerte. »Du verdammter Idiot! Ich habe nichts sonst anzuziehen, und selbst du kannst nicht wollen, dass ich Fragen darüber beantworten muss, was dies bedeutet.«
Larindolians Finger wanderten zu seiner Brust, als spüre er Schlangen auch über seine Haut kriechen. Bevor er mehr tun konnte, brach am anderen Ende der schmalen Gasse ein Tumult aus. Der Klang marschierender Stiefel hallte von den Häuserwänden wider. »Soldaten!«, rief Morada aus, den Klang eher deutend als Rani. Der Lehrling duckte sich in die Schatten einer benachbarten Baracke, als eine Truppe von Shanoranvillis bewaffneten Wachen in Sicht kam.
Der behelmte Hauptmann blieb an der Schwelle von Moradas verfallenem Haus stehen und tat mit knurrender Stimme seine königliche Befugnis kund: »Öffnet im Namen König Shanoranvillis, damit im Namen all der Tausend Götter Gerechtigkeit walten kann.« Bevor irgendein Mensch hätte reagieren können, krachten Soldatenstiefel gegen die Tür, und das Splittern von Holz ging im Rasseln bewaffneter Männer unter, die durch einen zu schmalen Eingang drängten.
»Hier ist die Mörderin, die Ihr sucht!«, erhob sich Larindolians Stimme über den Tumult.
»Verräter!«, schrie Morada. »Du hast die Männer des Königs gerufen!« Dann, noch bevor die Soldaten reagieren konnten, blitzte dunkler Samt an Rani vorbei, und der Lehrling konnte in der Düsterkeit der Gasse gerade noch die Gestalt eines Mannes ausmachen. Den Kopf tief gebeugt und das Gesicht an der Schulter verborgen,
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