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Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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entkam Larindolian.
    »Halt, Hexe!«, rief einer der Männer in dem Haus, und Morada heulte vor Zorn auf, schrie Schimpfworte heraus, welche die versammelten Soldaten grinsen ließen. Rani erkannte den Klang von Fäusten auf Haut sowie das dumpfere Anprallen von Stiefeln. Moradas flammender Zorn verwandelte sich in schiere Qual, als sie ihre Angreifer anflehte, Larindolian zu ergreifen.
    Die verzweifelten Worte erhitzten das Blut der Soldaten nur noch mehr, und die Männer stießen während ihrer brutalen Bestrafung großzügig Verwünschungen aus. »Mörderhexe!«, hörte Rani, und »Verdammte Hure!«.
    Plötzlich erkannte Rani die Gefahr für sich selbst, falls der Zorn der Soldaten durch den Angriff auf die Ausbilderin noch nicht gesättigt wäre, und schaute die schmutzige Gasse hinauf und hinab. Sie kannte sich in diesem Viertel nicht aus. Sie konnte nicht hoffen, ausgebildeten Soldaten zu entkommen, die auf Rache sannen. Bevor sie jedoch die Wahl treffen konnte, ihr Glück auf den Straßen zu versuchen oder das Entsetzen in dem kleinen Haus hinter sich abzuwarten, wurde ihr die Entscheidung abgenommen.
    Die Soldaten drangen aus dem Haus hervor und trieben ihr schluchzendes, sich windendes Opfer gewaltsam aus dem baufälligen Raum. Einer der Wächter sah über die Schulter, während Rani aus den Schatten mit offenem Munde zusah. »Ja, Balg«, stieß er an sie gewandt verächtlich hervor, »lass dir das eine Lehre sein. Halte dich an deine Kaste, und du brauchst dir keine Gedanken über einen Besuch der Wache des Königs zu machen.« Der Mann rückte seinen Gürtel zurecht und beeilte sich, seinen Kameraden zu folgen, wobei er die Gelegenheit nutzte, Morada einen heftigen Schlag zu versetzen. In Sekundenschnelle erfüllte nur noch bittere Stille die Gasse.
    Halte dich an deine Kaste.
    Als gehörte Rani in diese verlassenen Straßen der Stadt. Dieser Bereich war für keinen anständigen Menschen geeignet – nur die Unberührbaren würden in diesen schmutzigen Schatten leben.
    Rani sah sich um und erwartete fast, Mair und ihre lebhafte Schar in den zerstörten Eingängen jenseits der Straße lauern zu sehen. Stattdessen regte sich auf einer Schwelle ein zahnloses Bündel Lumpen und wandte einen bandagierten Kopf, um aus einem einzelnen, wahnsinnigen Auge zu Rani zu blicken. Rani schrak zusammen und wunderte sich darüber, dass sie die Kreatur nicht früher bemerkt hatte. »Ja, Kleine!«, gackerte die uralte Unberührbare. »Halt dich an deine Kaste!« Die Stimme klang hoch und dünn, und Rani konnte nicht sagen, ob sie männlich oder weiblich war. »Oh, ja, wenn du Sicherheit willst, Kleine, dann halt dich an deine Kaste!«
    Das Bündel Lumpen entfaltete sich zu den von Krankheit befallenen Gliedern eines uralten Wesens; der Schädel wackelte am Ende eines Rückgrats, das vom Alter verkrümmt und deformiert war, die gebrechlichen Beine watschelten auf das erschrockene Mädchen zu. Ein knochiger Finger berührte Ranis Hals, bevor sie zurückzucken konnte, und bohrte sich tief in ihre Kehle und nahm ihr den Atem. Rani wollte zurückweichen, aber sie war durch das raue, mit Lehm verputzte Flechtwerk hinter ihr gefangen, wie am Fleck angewurzelt und von dem entsetzlichen Lächeln wie versteinert, das die dünnen Lippen des Skelettes dehnte.
    »Du verschwendest Zeit, Kleine. Deine Ausbilder in wird den Tag im Schwarzen Loch des Königs nich’ überleben.«
    »Ich…« Rani räusperte sich, um trotz ihres Abscheus Worte hervorzuzwingen. »Ich weiß nicht, wovon Ihr redet.«
    »Bleib ruhig, Kleine. Die Ausbilderin wird nich’ nur die gute Gesundheit des Königs im Sinn haben, nach diesem letzten Streit mit dem Adligen. Red mit der Ausbilderin, und du kriegst die Antworten auf alle deine Fragen.«
    »Woher wollt Ihr das wissen?« Rani bemühte sich, respektvoll zu klingen, und kämpfte gegen ihre Angst und ihren Abscheu an.
    »Ich halt mich an meine Kaste, Kleine!« Die uralte Unberührbare gackerte und intonierte dann wie ein heiliges Mantra: »Halt dich an deine Kaste. Halt dich an deine Kaste.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Halt dich an deine Kaste…« Das Skelett ließ die Worte über die verdorrten Lippen stürzen, stieß sie umher wie Knöchelchen in einem Becher.
    Rani schrak zurück, wollte sich von der wahnsinnigen Sprecherin abwenden. Alte Gewohnheiten sind jedoch schwer abzulegen – sie konnte einen älteren Menschen, noch dazu ein Opfer des Wahnsinns, nicht zurücklassen, ohne ihm ein Zeichen des Respekts

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