Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
bevor du daherkamst, Larindolian – du und dein Wächter.«
»Hüte deine Zunge, Ausbilderin! Als du dich unserer Sache angeschlossen hast, hast du jemandem Treue geschworen, der weitaus stärker ist als ich.«
»Als ich mich eurer Sache angeschlossen habe, glaubte ich, wir würden der Stadt Gerechtigkeit bringen! Tuvashanoran war ein weitaus besseres Werkzeug, um diese Gerechtigkeit zu erlangen, als irgendeiner deiner Mitstreiter.«
Rani erkannte das Geräusch einer flachen Hand auf Haut, und das Schaben von Möbeln bezeugte die Wucht des Schlages. »Tuvashanoran war ein brünstiger Hund, und vergiss das ja nicht, du feige Kuh. Verteidiger des Glaubens! Dieser Mann hätte nicht einmal die Schuhe desjenigen küssen dürfen, dem wir dienen!«
Rani war unwillkürlich entzückt darüber, dass Morada gescholten wurde, auch wenn der mysteriöse Larindolian die geweihte Erinnerung an den Prinzen beleidigte, auch wenn er eine Frau schlug. Gewiss hatte die Ausbilderin ihre Strafe zu Recht bekommen, wenn man ihre Mittäterschaft am Tod Tuvashanorans und ihre lange Geschichte der Herrschaft über die Lehrlinge des Gildehauses bedachte. Da die vage Chance bestand, dass Larindolians Zorn den Adligen unvorsichtig werden ließe, erhob sich Rani hinter dem Fenstersims und spähte in das baufällige Haus. Morada saß zu Ranis Rechten in einem Sessel und schüttelte den Kopf, als wollte sie Spinnweben der Verworrenheit abschütteln. Ein Handabdruck hob sich weiß von ihrer Wange ab, die sich aber vor Zorn rasch rötete. Als die Ausbilderin sprach, fielen ihre Worte wie Eiskügelchen in den Raum.
»So viel zur Bruderschaft der Gerechtigkeit, was, Larindolian? So viel zur Gleichheit vor den Tausend Göttern.«
»Gerechtigkeit und Gleichheit«, höhnte der Mann, und seine Züge verzogen sich zu einer Maske der Verachtung. Rani konnte sogar in der Düsterkeit der verfallenen Baracke sehen, dass die Augen des Adligen unheimlich leuchteten, ein beängstigendes, so helles Blau, dass es wie Eis wirkte. »Gerechtigkeit und Gleichheit sind nur Worte, welche die Schwachen benutzen, um uns Starke zu blockieren. Die Dinge ändern sich in der Stadt, und ich für meinen Teil werde mich nicht von Schwächlingen behindern lassen, die über ›Gerechtigkeit‹ greinen.«
Morada schnaubte. »Diese ›Schwächlinge‹ sind deine verschworenen Brüder. Bist du töricht genug, die Bruderschaft hier und jetzt herauszufordern, während Tuvashanorans Leichnam noch nicht einmal auf seinem Scheiterhaufen ruht?«
»Du solltest nicht versuchen, meine Absichten gegenüber der Bruderschaft zu erraten, kleine Schwester.«
Die Ausbilderin sah den Mann erschüttert an, und ein Ausdruck entsetzter Erkenntnis rötete ihre Züge. »Du wirst sie tatsächlich herausfordern, oder? Du glaubst, dass du trotz der Schwüre, die du geleistet hast, besser bist als wir anderen!«
»Du kannst nicht wissen, was ich glaube, Frau!«
Morada reckte trotzig das Kinn. »Spricht hier der Alkohol, oder hast du beschlossen, dass Shanoranvilli der Nächste ist, der sterben muss? Hast du schon deine Krönungsrobe erwählt?«
Der Zorn des Mannes schien umso größer, als keine Gefühlsregung auf seinem Gesicht erkennbar war. Er sammelte seine erhebliche Kraft in den Unterarmen und schlug mit Fäusten wie Mehlsäcken auf die Ausbilderin ein. Rani krümmte sich am Fenster zusammen, und Morada drehte sich, damit der wütende Adlige ihr nicht den Kiefer brach. Die Flucht der Frau wurde jedoch von einem Stuhl behindert, und Holz splitterte unter ihr, als Larindolian sie mit einem Schlag am Schlüsselbein streifte. Morada schrie auf – aus Angst oder vor Schmerz –, und der Klang erzürnte den Adligen noch mehr. Das Geräusch reißenden Stoffes klang in dem Raum wider, als ein weiterer Schlag das Gewand der Ausbilderin streifte.
Bevor Larindolian seine Züchtigung beenden konnte, erblickte Rani bloße Haut. Rund um den Bizeps der Ausbilderin zog sich eine Tätowierung in blauem Flechtwerk, kunstvoller als jedes Bleiglasfenster. Vier Stränge waren miteinander verwoben, ein Quartett gieriger Schlangen, die sich aneinander nährten.
Die Tätowierung wäre unter jeglichen Umständen überraschend gewesen – anständige Frauen ließen sich einfach keine Zeichnungen in die Haut treiben. Das Bild auf Moradas Arm war für Rani jedoch noch auffälliger, weil sie das Muster kannte. Sie hatte diese vier Schlangen sich um einen anderen Arm winden sehen.
Rani war plötzlich nicht mehr ein
Weitere Kostenlose Bücher