Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
gefolgt waren. War ihr auch jemand zu Moradas geheimem Treffen gefolgt?
Rani schob den Gedanken rasch beiseite. Wenn der Rat wüsste, dass Tuvashanorans Mörder oder ein Komplize dieses Übeltäters irgendwo in Reichweite wäre, hätte er bereits Shanoranvillis Wachen gerufen.
Rani merkte, dass Narda ihr letzte, strenge Anweisungen erteilte, und der Lehrling nickte ergeben, bevor die Eierfrau in den Menschenmengen verschwand und Rani die restlichen Tagesverkäufe überließ. Das Mädchen schnalzte angewidert mit der Zunge, als sie sah, dass sich Narda nicht einmal die Mühe gemacht hatte, die Eier in einem ansprechenden Muster anzuordnen. Wie konnte sie erwarten, ihre Waren zu verkaufen, wenn sie nicht einmal die grundlegendsten Schritte unternahm, um Kunden anzuziehen? Der Stand würde nach den heutigen Verpflichtungen wirklich verfallen. Narda hatte guten Grund, Ranis Befreiung zu fürchten.
Während Rani die glatten Eier gefällig anordnete, grübelte sie über die Lektionen nach, die sie außerhalb des Marktplatzes gelernt hatte. Morada war gewiss in eine größere Verschwörung verstrickt – eine Verschwörung, mit der auch mindestens ein Adliger zu tun hatte. Rani unterdrückte im hellen Mittagsglanz ein Schaudern, als sie sich an Larindolians blaue Augen erinnerte, den durchdringenden Blick, den Morada anscheinend nie bemerkt hatte oder der sie zumindest nicht gekümmert hatte.
Rani empfand sogar in der hellen Sicherheit des Marktplatzes Angst und wandte ihre Gedanken daher von dem eiskalten Adligen ab. Stattdessen dachte sie an das Zeichen, das sie um Moradas Arm gesehen hatte, die seltsame Tätowierung, die die Ausbilderin bedeckt halten wollte. Vier sich windende Schlangen, zu einer verwoben. Wie hatte Rani Bardos Arm vergessen können? Und noch wichtiger – warum trug Morada dieselbe Tätowierung wie Bardo?
Rani seufzte, wünschte sich paradoxerweise, Bardo wäre in der Nähe und streifte ihre Angst und Verärgerung bewusst ab. Sie liebte Bardo. Er hatte sie stets beschützt. Sie wollte ihn bei sich haben.
»So ‘n Seufzen, von so ‘ner Kleinen! Hätt nich’ gedacht, dass du da rauskämst, Freundin.«
»Mair.«
»Ja, Rai. Hast schnell geschaltet, was, dass du ihr deine einzige Münze auf der Welt gegeben hast.«
»Woher willst du wissen, wie viele Münzen ich habe?«
»Oh, ich weiß es, Rai, ich weiß es.« Obwohl sich Mair ein schiefes Lächeln abrang, hämmerte Ranis Herz bei dem Gedanken an die Hände der Unberührbaren, die ihre Habe durchwühlten, während sie vollkommen ahnungslos schlief.
»Was sollte ich sonst tun?«, fragte Rani. »Ich konnte nicht zum Rat zurückgehen und dort um Gnade bitten.«
»Nee«, antwortete Mair ernst. »Du hast das Einzige getan, was du konntest. Wir werden dir das nich’ vorwerfen.«
»›Vorwerfen‹ – wer sagt, dass ihr mich überhaupt beurteilen dürft?« Ranis böse Ahnung verschärfte ihre Worte.
»Die Tausend Götter sagen das, Händlermädchen, und vergiss das nich. Jeder von uns hat seinen Platz inner Stadt, und wir Unberührbaren werden unsern nich’ vergessen. Es is’, wie die Alte sagt: ›Halt dich an deine Kaste‹.«
»Wie kannst du das wissen?«, quiekte Rani und schrak zurück, als Mairs Finger es den skelettartigen Unberührbarenfingern auf ihrer Wange gleichtaten. »Wenn du nahe genug warst, um das zu hören, warum hast du mir dann nicht geholfen?«
»Wer sagt, dass ich was gehört hab? Ich weiß, was ich weiß, Rai, aber ich werd’ einer wie dir nie sagen, woher ich es weiß.«
Mairs einfältiges Grinsen brachte Ranis Blut in Wallung, und der Lehrling trat zum Tisch und sehnte sich danach, ihre Enttäuschung an dem Mädchen der Unberührbaren auslassen zu können. Rani sah sich nach der getreuen Schar Kinder um, die sich gewiss zwischen den nahe gelegenen Ständen verbargen, sah aber keinen von Mairs Verbündeten. »Du bist mir gefolgt!«
Mair fing Ranis Fäuste ab, bevor sie etwas tun konnte, was sie bereut hätte. »Ehrlich, Rai, ich bin dir nich’ gefolgt.«
»Dann Rabe. Du hast ihn geschickt, damit er dein übles Werk ausführt.«
»Rabe war nirgendwo in deiner Nähe. Ich hab für meinen Adjutanten bessre Dinge zu tun. Glaub mir, Rai, ich hab keinen Grund, dich anzulügen. Ich hab auch keinen Grund, gegen dich anzugehen, aber wenn du mich zwingst, schlag ich dich grün und blau.«
Bevor Rani antworten konnte, wurde sie von einem Tumult am Ende des Marktganges abgelenkt. Scharen von Käufern schrien, und mehr als
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