Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
nur ein neues Marktplatz-Spiel ersinnen könnte. Zu diesem Zweck schürzte sie die Unterlippe auf unglaublich kindliche Art. »Eure Worte verletzen mich, Herrin Narda. Ich wollte Euch mit all dem Ale überraschen, das diese Münze einbringen kann.« Sie hielt um Wirkung heischend inne, bevor sie den viereckigen Schatz vor Nardas berechnenden Augen drehte.
Welche Entschuldigungen auch immer die Eierfrau erwartet hatte – vom Anblick der fremden Silbermünze war sie eindeutig überrascht. Sie ließ das Ei fallen, das sie festgehalten hatte, und ignorierte den daraus resultierenden, safranfarbenen Spritzer vorne an ihrem Stand. Rani unterdrückte bei dem Eifleck ein Seufzen – sie erinnerte sich zu gut daran, wie mühsam sie den alten Tisch sauber geschrubbt hatte. Sie erhöhte den Preis im Geiste.
»Pah«, sagte Narda naserümpfend. »Die Geldwechsler hätten keine Ahnung, wie viel sie dir dafür geben sollten.«
»Sie kennen die Münze vielleicht nicht, aber sie können Silber wiegen.«
Narda zuckte wohlbedacht die Achseln. »Wenn es keine Legierung ist. Mit so etwas… könntest du nicht mehr als… ein Viertelpint Ale kaufen.«
Rani unterdrückte ein Lächeln – Narda hatte vielleicht mit einem niedrigen Gebot begonnen, aber die Händlerin war immerhin so neugierig gewesen, um das erste Gebot zu machen. »Ein Viertelpint, Herrin! Ihr müsst Euch versprochen haben! Diese Münze wird Euch gewiss ein Viertelpint Ale einbringen – an jedem Tag für den Rest Eures Lebens.«
»Wie kannst du es wagen, mich zu verfluchen! Mein Leben auf wenige Wochen zu beschränken – das ist alles, was deine kleine Münze jemals einbringen wird.«
»Ach, gute Herrin, Ihr missversteht. Ich meinte nicht, dass Eure Tage gezählt sind. Vielleicht hätte ich sagen sollen, dass diese Münze Euch ein Viertelpint für jeden der Tausend Götter an jedem Tag einer Woche einbringen wird. Ich würde Euch diesen Reichtum gerne überlassen – meine Herrin, meine Ratgeberin, meine Führerin auf dem Marktplatz der Stadt.«
Narda war gegen die Händlertricks nicht gefeit, die sie auch selbst jeden Tag benutzte, und Rani beobachtete, wie sich die Frau bei dem Gedanken an ihre Macht in der Markthierarchie vor Vergnügen die Hände rieb – von Gallonen von Ale genährte Macht. Rani beeilte sich, den Handel abzuschließen. »Kommt schon, Herrin – Ihr müsst heute Morgen bereits schwitzen, und die Hitze nährt den Durst. Lasst mich Euch meine Münze schenken, und ich werde hierbleiben und mich um den Stand kümmern. Ich werde diesen Fleck hier säubern« – Rani deutete auf das verlaufene Ei – »und ich werde Eure letzten Waren verkaufen. Dann können wir heute Abend vor den Rat treten, und Ihr könnt ihnen sagen, dass ich meinen Dienst erfüllt habe.« Rani legte die Münze auf den Rand des Standes, drehte sie bewusst so, dass die Sonne von dem Metall abstrahlte.
»Du bist eine harte Händlerin, mein kleiner Eierbecher!«
»Nur weil Ihr mich so gut gelehrt habt, Herrin.«
»Also gut.« Narda riss die Münze an sich und verbarg sie vor neugierigen Augen. »Abgemacht.«
Rani hätte sich darüber freuen sollen, erfolgreich um ihre Befreiung geschachert zu haben. Sie hätte ein siegreiches Hochgefühl empfinden sollen, weil sie Narda in ihrem eigenen Spiel besiegt hatte. Ihr hätte von ihrem Erfolg schwindelig werden sollen. Stattdessen sah sie nur zu, wie ihr Schatz in der Faust der alten Eierfrau verschwand, und sie widerstand dem Drang zu schreien und um die Rückgabe von Bardos Geschenk zu bitten.
Bevor Rani ihren Vorteil verwirken konnte, trat einer der vergessenen Ratswächter vor, ein nachdenkliches Lächeln auf dem Gesicht. »Vermutlich willst du die Macht des Rates nicht länger gegen dieses Kind anrufen, Narda?«
Rani erkannte einen Moment lang den drohenden Verrat in den Augen der Eierfrau, aber dann verflüchtigte sich die Gefahr wie Nebel. »Nein, Marni. Ich danke dem Rat fürs Aufpassen. Meine kleine Helferin hätte mich vermutlich ohnehin aufgesucht. Ich hätte nicht so rasch zu Borin gehen sollen.«
Marni sah die alte Eierfrau unverwandt an. »Komm am Tagesende zum Rat, wie es dir ursprünglich aufgetragen wurde. Dann wird Borin sein abschließendes Urteil sprechen.«
»Ja, wir werden dort sein«, erwiderte Narda nickend.
Marni betrachtete Rani einen langen Moment prüfend, und der ehemalige Lehrling wand sich unter dem Blick. Sie fragte sich, wie viel das Ratsmitglied wirklich wusste, wie lange Borins Wächter Rani
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