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Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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Frühstück. Ranis Mutter schnalzte angesichts ihres hart arbeitenden Sohnes mit der Zunge und schüttelte den Kopf, während Ranis Vater vermutete, Bardo sei zu den Docks hinuntergegangen, um die letzte Schiffsladung Waren zu überprüfen. Erst als der Porridge nur noch aus durchweichten Klumpen bestand und der Tee für Ranis kindliche Lippen genug abgekühlt war, kehrte Bardo zum Haus zurück.
    Als er die Tür aufstieß, konnte sie sofort das wilde Glitzern des Sieges in seinen Augen erkennen. Er lächelte breit, während er einen Sack auf den Küchentisch legte, wie Wair, der Gott der Geschenke, hineingriff und Schätze an seine Familie austeilte. Für seine Mutter hatte er den süßesten Honig mitgebracht, und für seinen Vater den blumenduftenden Balsam, der den dauerhaften Hexenschuss des Ladenbesitzers linderte. Jedes der Mädchen erhielt eine aus Metall gearbeitete, kunstvolle Blume, als Verschluss für ihre Umhänge, und jeder der Jungen strahlte über ein Messer mit scharfer Klinge.
    Für Rani hatte Bardo noch ein besonderes Geschenk, zusätzlich zu ihrer Blumenspange. Als sie ihm ihr dankbares Gesicht zuwandte, zauste er ihr das Haar. Und wie als nachträglicher Einfall, kniete er sich dann neben sie und grub tief in seiner Tasche nach seinen letzten Schätzen.
    Zuerst erkannte Rani das Geschenk nicht. Dann, als Bardo es ihr auf den Schoß legte, sah sie, dass es eine Schiefertafel mit einem Kreidestift war. »Für dich«, hatte Bardo schlicht gesagt. »Damit du diese Zeichnungen üben kannst, die du immer machst.«
    Rani hatte die Arme um Bardos breite Brust geschlungen. Er verstand! Er erkannte die zitternde Erregung, die in ihren Fingerspitzen pulsierte, den Zwang, die Waren im Laden ihres Vaters immer wieder neu zu arrangieren.
    »Bardo«, schalt ihre Mutter, noch während Rani die Großzügigkeit des Geschenkes klar wurde, »du solltest das Kind nicht verwöhnen! Wie soll sie lernen, dass ihr Platz bei den Händlern ist? Solch ein Spielzeug ist besser für ein Gildekind geeignet!«
    Rani spürte Tränen in ihren Augenwinkeln brennen. »Nun, Mutter«, schalt Bardo und legte einen Arm schützend um Rani, »ich habe ein wenig Gewinn gemacht, und du tust alles in deiner Macht Stehende, um die Freude an meinen Geschenken zunichtezumachen. Du stellst dich gegen die Tausend Götter, das tust du.« Mit einem schalkhaften Grinsen vertrieb er den düsteren Ausdruck auf dem Gesicht seiner Mutter. »Wer will behaupten, dass ein Händlerkind keine Zahlen lernen muss? Diese Schiefertafel ist dafür perfekt geeignet. Komm schon, Mutter. Du willst mich doch nicht glauben machen, meine nächtlichen Bemühungen wären umsonst gewesen, oder?«
    Rani spürte, während er diese Fragen stellte, die Anspannung in seinen Muskeln durch die noch immer auf ihren Schultern ruhenden, vibrierenden Finger. Sie fragte sich, welche Bemühungen Bardo in der Dunkelheit der Nacht unternommen haben konnte, und wartete die quälend lange Pause ab. Dabei beobachtete sie, wie ihre Mutter und ihr Vater den Sohn ansahen. Beide könnten sein Kommen und Gehen in Frage stellen, könnten die Quelle des Reichtums wissen wollen, den er in dem warmen, kleinen Raum ausbreitete. Die Antworten wären vielleicht nicht angenehm, und all die kleinen Schätze würden vielleicht zurückgewiesen. Nach zahllosen, panischen Herzschlägen streckte Jotham Händler seinem ältesten Sohn eine Hand entgegen. Der gefährliche Moment war vorüber, und Rani bewahrte nur die verwirrende Erinnerung der stählernen Härte, die sie bei ihrem Bruder erkannt hatte.
    Niemand sonst stellte ihr Glück in Frage, und Rani durfte bald ihren wertvollsten Besitz fortbringen. In den folgenden Tagen hatte sie viel Aufhebens darum gemacht, Summen auf der Schiefertafel auszurechnen, wobei sie mindestens die Hälfte ihrer kostbaren Kreide für einem Händler angemessene Berechnungen verbrauchte. Nur in der ruhigen Ecke des Raumes, den sie sich mit ihren Schwestern teilte, verwendete Rani die Schiefertafel ihren eigenen Wünschen gemäß, skizzierte das kunstvolle Maßwerk von Buntglasfenstern und arbeitete ihre eigene, komplizierte Kurzschrift aus, um die verblüffenden Farben für ihre gildegerechten Zeichnungen zu kennzeichnen. Letztendlich hatte sich ihre Arbeit mit der Schiefertafel als nützlich dabei erwiesen, ihre Mutter zu überzeugen, Rani der Glasmalergilde beitreten zu lassen.
    Nun, in einem verfallenen Eingang an einer aufgegebenen Straße der Stadt kauernd, versagte Rani es

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