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Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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sich, bei der Familie zu verweilen, die sie verloren hatte, bei den Eltern, die sie nie wieder schelten würden. Stattdessen zwang sie sich, über Bardos Geschenk nachzudenken, über ihre Schiefertafel und die Kreide. Sie hatte sie in ihren Beutel gepackt, um sie mit zur Glasmalergilde zu nehmen, aber dann hatte sie sie wieder herausgenommen, aus Sorge, dass der Kreidestummel für ihre neu gewonnenen Gefährten nicht gut genug wäre, und beschämt, dass sie Bardos Geschenk in Frage stellte. Sie hatte die Tafel zwischen die mit Getreidehülsen gefüllten Matratzen in ihrem Mansardenzimmer gesteckt. Nun mussten ihre rußigen Überreste in der Asche liegen, die sich über den Ruinen ihres Heims häufte. Sie würde Bardos Geschenk nie Wiedersehen.
    »Und er hat sie nie wiedergesehen«, schloss Mair mit ernster Stimme. »In einem Moment war sie das Zentrum seiner Welt, und im nächsten Moment war sie fort, nich’ mal ihre Knochen lagen in irgend’ner Gasse. Alles weil die Waren, die sie zu stehlen beschloss, in den Augen eines Händlers selten waren.«
    Rani erschauderte, als sie mit der einfältigen Erkenntnis wieder in die grausame Gegenwart zurückkehrte, dass sie nichts über Rabes Mutter gehört hatte. Da sie etwas ahnte, rang Rani um weitere Informationen und versuchte, die Tatsache zu verbergen, dass ihre Aufmerksamkeit abgeschweift war. »Und hat er jemals herausgefunden, was mit ihr passiert ist?«
    »Das war alles!«, zischelte Mair, und Rani war dankbar, dass die Anführerin der Unberührbaren wegen ihrer schlafenden Gefährten das Gefühl hatte, sich zurückhalten zu müssen. »Der letzte Mensch, der sie lebend gesehen hat, sagte, sie hätt’ sich mit dem Händler treffen wollen, den sie bestohlen hatte, hätt’ die Dinge klären wollen. Ein verdammtes Treffen war das, in den Augen all der Tausend Götter.«
    Rani drehte sich der Magen um, als sie erkannte, dass Mairs Bericht und ihre eigenen Erinnerungen vielleicht dieselbe Geschichte erzählten. Ausflüchte kamen über ihre Lippen. »Aber du kannst nicht sicher sein, dass er sie getötet hat! Alles könnte passiert sein – der Händler könnte sie aus der Stadt geworfen haben, wegen Diebstahl. Das wäre vielleicht gnädiger gewesen, als sie als Diebin zu brandmarken. Du hast selbst gesagt, dass diese Straßen nicht sicher sind.«
    »Aber da is’ noch was an der Geschichte, Rai. Die Habe von Rabes Mutter wurde ihrer Familie zurückgegeben, draußen vor ihrem Schlafplatz gelassen. Ihr Hemd und ihre Jacke, beide mit mehr Blut beschmiert, als ‘n Kind je sehen sollte. Und um das Ganze war ein Gürtel geschlungen, ‘n Gürtel mit ‘ner Zinnschnalle, ‘ne Schnalle mit ‘ner komischen, kleinen Windung, wie bei denen, die gestohlen wurden. Aber der Gürtel, er war verändert worden. Jemand hat ein Messer genommen und in das Leder eingeschnitten. Sie ham das Muster tief eingekerbt. Vier Schlangen, alle ineinander verschlungen. Und ihre Augen waren mit Blut gemalt.«
    Rani konnte sich die verdammten Schlangen komischerweise nicht vorstellen. Stattdessen konnte sie nur Bardo sehen, der in ihrer Erinnerung hoch, aufrecht und stolz dastand und ihre Familie beschützte. Sie erschauderte, als sie an die Geschenke dachte, die ihr Bruder an jenem Morgen vor langer Zeit mitgebracht hatte, die Schiefertafel, bei der sie stolze Freude empfunden hatte.
    Sie fühlte sich elend, und ihr Magen rebellierte.
    Ein langes Schweigen entstand, bevor Rani wieder sprechen konnte. »Was willst du also sagen, Mair? Sagst du, ich soll Rabe erzählen, dass Bardo mein Bruder ist?«
    »O nein, Rai, das sag ich überhaupt nich’!« Rani hörte zum ersten Mal Angst in der Stimme der Anführerin der Unberührbaren. »Ich bin mir nich’ sicher, dass ich Rabe unter Kontrolle behalten könnte, wenn er denken täte, er müsste mit dir kämpfen, um das Andenken seiner Mutter zu bewahren, und das seines Vaters.«
    »Sein Vater auch?« Rani schluckte die Frage hinunter, die sich auf ihre Lippen drängte: »Was hat Bardo seinem Vater angetan?« Gerade noch rechtzeitig formulierte sie ihre Frage um. »Was ist mit seinem Vater passiert?«
    »Der Mann hat sich nie davon erholt, dass er die Habe seiner Frau gefunden hat. Das heißt, dass er die Sachen, aber nie sie gefunden hat. Er wandert immer noch in diesen Straßen herum und schläft irgendwo. Rabe sucht ihn, wann immer er kann, um ihm Essen zu bringen und ‘ne Decke um seine Schultern zu legen.«
    Rani dachte, sie müsste sich übergeben,

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