Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
gemerkt hatte, wobei er seinen Lehrer perfekt imitierte. Rani hatte, während Davin mit dem Kleinen Heer draußen war, Stunden mit dem Versuch verbracht, den Vogel dazu zu bringen, ihren Namen zu sagen. »Rani Händlerin«, hatte sie unaufhörlich wiederholt und darauf geachtet, stets die gleiche Betonung beizubehalten. »Rani Händlerin.« Der Vogel hatte sich geweigert, die Lektion zu lernen.
Nun legte Davin mit aufgebrachtem Seufzen seine Schleifwerkzeuge hin. »Ich habe keine Zeit, das Kindermädchen für dich zu spielen. Geh und lass mich meine Arbeit beenden.«
Rani verließ ihn mit fröhlichem Lächeln und hielt nur inne, um sich aus einer Schale bei der Tür kleine Äpfel in die Tasche zu stecken. »Meine Arbeit beenden! Meine Arbeit beenden!«, krächzte der Ara, während sie den Weg zum Schwanenschloss hinuntereilte.
Obwohl eindeutig Winter war, strahlte die Sonne auf den Hügel unter dem Schloss, und Rani warf den Umhang von ihren Schultern zurück. Ihr Bein störte sie inzwischen weniger – die Wunde war seit zwei Tagen nicht mehr aufgeplatzt, und die pochende Rötung des Fleisches zu beiden Seiten der tiefen Wunde hatte sich nicht weiter ausgebreitet. Shea und Davin hatten beide darauf bestanden, dass sie lächerlich viel Zeit auf einem Strohlager verbrachte, ihr Bein hochlegte und es eitern ließ. Die alte Frau hatte Rani gezwungen, bittere Tees zu trinken, hatte behauptet, sie würden helfen, das Fieber abzukühlen. Rani hatte es aufgegeben zu fragen, wann sie gesund genug wäre, um reiten zu können. Sie begnügte sich damit, etwas über die Glasmalerei zu lernen und dem Kleinen Heer nachzuspionieren. Es würde jetzt nur noch wenige Tage dauern, versprach sie sich, und dann würde sie sich gut genug fühlen, um Amanthia zu entfliehen, um nach Morenia zu reiten, zu Hal, in die Freiheit.
Als sich Rani den untergrabenen Mauern des Schwanenschlosses näherte, sah sie, dass das Kleine Heer schwer arbeitete. Zwanzig Jungen erstürmten die Südseite des Schlosses, wo die Außenwand noch intakt war. Sie drangen beständig wenige Fuß vor, fielen wieder zurück und drangen dann erneut vor, um jedes Grasbüschel, jeden Stein auf dem Hang zu nutzen. Sie wurden von zwei von Crestmans Leutnants gedrillt.
Rani konnte im Schwanenschloss noch mehr Jungen ausmachen. Durch die Lücke in der Außenwand sah sie mindestens ein Dutzend Soldaten die Innenmauern erklimmen, mit Händen und Füßen Halt suchen. Die Jungen waren mit einem anspruchsvollen Seil- und Rollensystem miteinander verbunden. Eine weitere von Davins Erfindungen, vermutete sie und sah einen Moment zu, bis sie erkennen konnte, wie die Seile übereinanderglitten, wie sie als Stützen dienten, damit die Kletterer nicht zu Boden stürzten, wenn sie den Halt verloren. Das Seil- und Rollensystem wäre auch für Glasmaler nützlich. Glasmaler könnten die schwebenden Seile benutzen, um keine teuren und gefährlichen Gerüste mehr aufstellen zu müssen, wenn sie an bereits hoch oben eingelassenem Glas arbeiten mussten.
Noch während Rani diesen Gedanken für ihre zukünftige Gilde speicherte, bemerkte sie, dass sich die verbliebenen Soldatenjungen in der Mitte des Schlosses um Mair zusammendrängten. Das Unberührbaren-Mädchen rief gerade: »Nun pass auf, Mon! Wenn du schon nicht herausfinden kannst, in welche Hand ich den Stein gebe, dann wirst du auch niemals meinem Messer folgen können.« Während Rani zusah, hob Mair einen Kieselstein vom Boden hoch. Sie zeigte ihn den Jungen mit übertriebener Geste und wob ihn dann über und unter ihren Fingern hindurch, verbarg ihn erst hinter einer Handfläche und dann hinter der anderen, steckte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und nahm ihn im nächsten Durchgang wieder hervor.
Die Jungen beobachteten sie gebannt, aber Rani konnte den Stein ohne Mühe verfolgen. Dieses Fingerkunststück war ein Standardtrick der Unberührbaren, ein Spiel, zu dem Mair ihre Schar häufig ermutigt hatte. Mairs Kinder hatten das Spiel sowohl dazu benutzt, ihre Geschicklichkeit im Stehlen zu verbessern, als auch, um unbedeutende Streitereien zu bereinigen wie die, wer unter der wärmsten Decke schlafen oder wer zuerst aus einem neu gefundenen Fass Ale trinken durfte.
»In Ordnung«, rief Mair aus, schloss beide Hände und hielt sie den Jungen hin. »Wo ist der Stein?«
Monny biss sich auf die Lippen und warf einen raschen Blick auf Mairs Fäuste. Rani sah, dass das Unberührbaren-Mädchen versuchte, ihn auf ihre linke Hand
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