Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
diejenigen am meisten zu lieben, die wir am meisten fürchteten. Wann immer wir jemanden zu schätzen lernten, nahmen sie ihn uns.«
»Schätzen? Was gibt es in einem Militärlager zu schätzen?«
»Ihr wärt überrascht.« Crestmans Stimme klang vor Verbitterung belegt. »Die Hauptleute, Jungen von vierzehn oder fünfzehn Jahren, hielten sich Hunde für die Jagd. Im Frühjahr bekamen die Hündinnen Junge. Da waren Dutzende von Welpen. Die Hauptleute gaben sie uns Jungen, den neuesten Rekruten. Wir waren Narren – wir dachten, wir wären endlich begünstigt.
Wir lebten für diese kleinen Welpen, schleppten sie in unsere Zelte, karrten sie im Lager herum. Wir gaben den Hunden Namen, wir fütterten sie von unseren Tellern. Wir machten sie zu den Familien, die wir zurückgelassen hatten, schätzten sie umso mehr, wenn die älteren Jungen uns verspotteten.
Aber eines Nachts weckten uns die Offiziere, weit nach Mitternacht. Sie hatten die Gesichter schwarz bemalt, so dass nur ihre Augen im Fackellicht schimmerten. Sie zerrten uns aus unseren Betten, nackt und zitternd, und zwangen jeden von uns, gegen einen Hauptmann zu kämpfen, gegen einen Jungen, der fast doppelt so alt war wie wir. Da wir alle verloren, mussten wir unsere Hunde aushändigen. Wir verloren unseren wertvollsten Besitz. Und dann gaben uns die Sieger ein Messer; sie drückten uns die Waffen in die Hände, auch wenn wir sie am liebsten am Feuer fallen gelassen hätten.«
Crestman starrte auf den ausgebrannten Kreis des Lagerfeuers, als beobachte er die Szene, die er beschrieb, als könne er sehen, wie sie sich vor ihm abspielte. »Sie hatten ihre Langbogen auf uns gerichtet, und sie erschossen einen Jungen, der sich weigerte, sein Messer festzuhalten. Ich nahm meine Klinge auf. Ich wusste, was von mir erwartet wurde. Mein Hauptmann musste es mir gesagt haben. Er musste mir einen Befehl erteilt haben. Ich zog den Kopf meines Hundes zurück und schnitt ihm die Kehle durch. Ein rascher Schnitt, und das Tier war Beute.«
Während Rani den Atem anhielt, öffnete Crestman seine Hand, als ließe er ein Messer zu Boden fallen. »Es war Beute, und wir waren Soldaten. Gute Soldaten, die Befehle befolgten. Die Hauptleute befahlen uns nun, die Hunde ins Küchenzelt zu bringen, und sie zwangen uns, sie zu schlachten. Sie zwangen uns, das Fleisch in einen Kessel zu geben, und sie zwangen uns reihum, den Eintopf umzurühren. Sie zwangen uns zu essen, jeden Bissen, bis der Kessel leer war.«
Tränen strömten Ranis Gesicht herab, Tränen des Verlusts und der Erinnerung. Auch sie hatte gemordet, um Zugehörigkeit zu erlangen.
Aber Crestman weinte nicht. Er starrte auf den Kreis im Gras und beendete seine Geschichte. »Nach dieser Mahlzeit ehrten wir den König. Nach jeder Mahlzeit und wenn wir aufstanden und wenn wir schlafen gingen und vor jedem Manöver auf dem Schlachtfeld. Wir entboten dem Kleinen Heer, unseren Offizieren und unseren Brüdern unseren Dank. Und als die nächsten Rekruten kamen, hielten wir die Bogen und zielten mit unseren Pfeilen auf ihre Herzen.«
»Aber warum? Wie konntet ihr das tun?«
»Wie konnten wir es nicht tun? Für das Kleine Heer gibt es keine andere Welt. Wir haben keine Kaste, unsere Himmelszeichen sind fort. Unsere Eltern könnten uns niemals zurücknehmen, nicht nach dem, was wir getan haben. Der einzige, der uns schätzt, ist König Sin Hazar. Er ist immerhin derjenige, der uns ausgesucht hat. Er ist derjenige, der uns ausgebildet und ernährt hat. Er ist derjenige, der die Hauptleute Raubzüge durchführen lässt, um uns Essen und Kleidung und Frauen zu bringen.«
»Frauen?«, keuchte Rani.
»Mädchen«, korrigierte Crestman sich. »Natürlich für die Sieger. Alle Reichtümer gehen an die Sieger. Aber die edelste Aufgabe von allen – der beste Auftrag im gesamten Kleinen Heer – blieb nur wenigen überlassen.«
»Und was war das?«, fragte Rani und hasste sich dafür, diese Frage zu stellen, hasste sich dafür, dass sie es wissen wollte.
Er lächelte verzerrt. »Wir führten die Raubzüge in andere Dörfer an. Wir brachten die neuesten Rekruten zum Kleinen Heer, wobei wir stets einen töteten, um ein Exempel zu statuieren, und zwei, wenn die Jungen besonders schwer von Begriff waren.«
»Wie konntet Ihr das tun? Warum seid Ihr nicht geflohen?«
Crestmans Lachen klang so hart, dass eine Gänsehaut Ranis Arme überlief. »Fliehen? Es hat Monate gedauert, bis ich den Mut aufbrachte, genau das zu tun. Ich schmiedete
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