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Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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nicht, ihre Hand erzittern zu lassen. Sie kannte das Muster, das sie vollenden musste, sie kannte es mit der Sicherheit aller Hypnose, der sie sich jemals unterzogen hatte. Dort eine Linie, noch eine, und noch eine. Das Seidengewebe hob sich von dem klaren Glas ab, durch den stetigen Farbstoff hervorgerufen.
    Und Rani war noch immer nicht fertig. Eine letzte Sache… Sie wandte den Kopf zur Seite, betrachtete das Paneel aus einem bestimmten Winkel. Was stimmte nicht? Was fehlte? Sie hatte bei all ihren vorbereitenden Zeichnungen nicht mehr skizziert.
    Und dann erkannte sie es. Sie tauchte den Pinsel ein, füllte die Borsten, drückte sie fast vollständig wieder aus. Sie hob das Handgelenk über den Tisch, hielt ihre Hand still. Sie streckte den Pinsel zu der Glasscheibe aus, berührte sie kaum. Da. In der Ferne. Jenseits von Lors Sichtfeld, über seiner Schulter, fern seines bewussten Denkens.
    Ein einzelner Riberrybaum.
    Rani deutete die glatte Silberborke an, die komplizierten Zweige. Sie ließ die Blätter erahnen. Sie stellte sich die gemusterten Raupen vor, welche die Spinnen nähren würden, welche die Entwicklung der Seide fördern würden.
    Und dann rief Parion: »Die Zeit ist um, Gesellen!«
    Rani wurde schlagartig wieder ins Gildehaus versetzt, aus den Tiefen ihrer Trance gerissen. Sie hatte nicht beabsichtigt, die Kräfte der Hypnose einzusetzen. Nach Berylina hatte sie geschworen, diese fremdartige Kunst niemals wieder nutzbar zu machen. Nichtsdestotrotz hatte sie im Eifer der Prüfung Tovins Unterricht herangezogen, sich auf die Kraft des Gauklers verlassen.
    Mehrere Gesellen protestierten gegen Parions Ankündigung, aber Ausbilder gingen durch die Ränge, ergriffen Pinsel, nahmen Rollen Bleiband fort. Rani erkannte, dass einer der Ihren seine Arbeit sehr früh an diesem Tag verlassen hatte, zerbrochenes Glas mitten auf seinem gekalkten Tisch zurückgelassen hatte. Belita und Cosino waren offensichtlich fertig geworden, bevor die Sonne unterging. Ihre Tische standen leer da, nur in der Mitte eine vollendete Arbeit präsentierend. Drei weitere Gesellen waren ebenfalls fertig geworden und gegangen.
    Parion sagte: »Ich danke euch, Gesellen, für eure Bemühungen. Ihr könnt den Raum jetzt verlassen. Wir Meister werden eure Projekte einsammeln und ihren Wert besprechen. Gehet hin und esst und trinkt und schlaft. Wir werden euch in den kommenden Tagen mitteilen, ob ihr die Prüfung bestanden habt.«
    Das war alles. Es gab keinen Tusch. Es schlug kein Henkerbeil zu. Nicht mehr.
    Rani erkannte, dass sie überaus erschöpft war. Sie war halbwegs verhungert. Sie war ausgetrocknet wie ein Reisender, der tagelang in einer Wüste umhergewandert war.
    Und sie war von ihren Schwüren der Gilde gegenüber befreit. Sie konnte essen, was sie wollte, trinken, was sie begehrte. Sie konnte mit Tovin Zusammensein.
    Sie stützte die Hände auf ihren Tisch, benutzte den hölzernen Rand beim Aufstehen als Hilfe. Ihre Beine weigerten sich, sie zu tragen. Ihre Knie schwankten wie bei einem neugeborenen Fohlen. Sie drehte sich, als wollte sie sich umwenden, als wollte sie tatsächlich Larindas Tisch neben ihr betrachten.
    Das morenianische Gildehaus.
    Rani schrie auf, als sie es sah – groß, hoch aufragend. Sie erinnerte sich an die Ehrfurcht, die sie geblendet hatte, als ihr Bruder sie zum ersten Mal durch die Tore führte, als sie zum ersten Mal das Gebäude betreten hatte, das für viel zu kurze Zeit ihr Zuhause werden sollte. Larinda hatte es vollkommen eingefangen, hatte ihrem Glaspaneel gerade die richtige Menge kunstvolles Maßwerk hinzugefügt.
    »Es ist wunderschön«, hauchte Rani. »Larinda, es ist perfekt!«
    Larinda ignorierte Rani jedoch vollständig, als hätte sie kein Wort gehört. Stattdessen stützte die andere Gesellin ihren Kopf auf den Tisch. Sie spreizte die Handprothesen zu beiden Seiten, als wüsste sie nicht, wie sie sie herunternehmen sollte.
    Rani sah das samtene weiße Glas, die Scheibe, die sie für ihre Seide hatte benutzen wollen. Es war bei Larindas Arbeit besser genutzt. Als Steinmauer besser geeignet. Als Erinnerung an ein Gebäude ausdrucksvoller, das dem Erdboden gleichgemacht wurde, zerstört wurde, so dass es nun nur noch in einer Handvoll gequälter Erinnerungen existierte. »Larinda…«, sagte sie erneut, aber dieses Mal erwartete sie keine Antwort.
    Erst als sie starke Hände auf ihren Schultern spürte, erkannte sie, dass sie weinte. Sie wandte sich um, gab dem Druck nach. Tovin

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