Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
schlang die Arme um sie, hielt sie fest, nahm sie auf, als wäre sie ein kleines Kind.
»Es tut mir leid!«, keuchte sie, zwang die Worte durch ihre Tränen hindurch. Sie entschuldigte sich bei Larinda, bei Parion, bei allen Glasmalern. Sie entschuldigte sich bei Mair und Laranifarso, bei Berylina. »Es tut mir leid!«
»Still«, sagte Tovin. Er zog sie von ihrem Tisch fort, von ihrem zerbrechlichen Meisterstück fort.
Ich hätte Tuvashanoran nicht rufen sollen, wollte sie sagen. Ich hätte vor langer Zeit im Gildehaus vortreten und meine Gildekameraden schützen sollen. Ich hätte den armen Dalarati am Leben lassen sollen. Ich hätte vor der Kurie für Berylina sprechen sollen. Ich hätte Crestman gegen Laranifarso eintauschen sollen. Ich hätte die Forderung der Gefolgschaft nicht akzeptieren dürfen. Ich hätte das Gift für Mareka nicht annehmen dürfen. »Es tut mir leid.«
Und dann führte Tovin sie aus dem Gildehaus hinaus. Er ging mit ihr an Larinda vorbei, an Parion vorbei, an all den Lehrlingen und Gesellen und Meistern vorbei. Sie spürte, wie seine stetige Berührung sie durch die Straßen dirigierte, zu ihrem Zimmer zurück, zu ihrem Bett zurück. Seine Hände schimmerten im Lampenlicht, als er Käse aufs Brot legte. Seine Knöchel fingen das Licht ein, als er Wein in einen Kelch goss, ihn mit Wasser mischte. Er glättete ihr Haar, während er sie zum Trinken drängte. Seine Finger nahmen geschickt ihren Tausendspitzigen Stern. Er legte ihr Pilgergewand beiseite.
Dann klammerte sie sich an ihn, zog ihn zu sich, auf die Matratze hinab, neben sich hinab. »Schlaf, Ranita«, sagte er, und sie wollte sich erneut entschuldigen. »Schließ deine Augen, und schlaf. Wir haben morgen früh genug Arbeit.«
»Es tut mir leid.«
»Schlaf.«
Und das tat sie.
13
Halaravilli ben-Jair ging in seinem Turmraum auf und ab und starrte auf das Pergament in seiner Hand. Er hatte die Worte ein Dutzend Mal gelesen, aber sie wollten sich nicht ändern, wollten nicht sicherer, freundlicher, erträglicher werden. Hütet Euch vor der Schlange in Eurer Mitte. Sie lässt die Prinzessin sterben, und sie will Euch weiteren Schaden zufügen. Sie hat einst Euren Schutzherrn getötet Lasst sie nicht erneut handeln. Passt auf Eure Frau, die Königin, auf.
Die Botschaft war lächerlich. Sie bezog sich eindeutig auf Rani, aber Hal wusste, dass Rani Mareka niemals etwas antun würde. Während seiner ganzen Bemühungen um Frieden und Gedeihen in Morenia war Rani der eine Mensch gewesen, auf den er sich verlassen konnte. Er konnte ihr inmitten all der unsicheren Bündnisse, die er geschmiedet hatte, vertrauen. Sie war ihm geweiht. Sie war ihm treu ergeben.
Sie war nach Brianta gegangen, um den Zutritt zu einer Gilde zu erbitten, die sein Vater vernichtet hatte.
Hal hatte befürchtet, dass Ranis Reise auch zu einem Treuetest für sie würde, aber er hatte sich niemals vorgestellt, dass sie scheitern würde. Welches Gift hatte die Glasmalergilde gehortet? Welche sorgfältig genährten Ressentiments, weil sie auseinandergerissen wurden, durch einen königlichen Irrtum?
In dem Versuch, Rani auf dem Laufenden zu halten – und weil er sie vermisst hatte –, hatte Hal Rani während ihrer Abwesenheit Sendschreiben geschickt. Er hatte sich mit den langen Briefen Zeit genommen, hatte erklärt, wie das Königreich zurechtkam, hatte sie um Rat gefragt. Er hatte gefragt, welchen Fortschritt sie in der Gilde machte, hatte sich nach Berylinas Pilgerreise erkundigt. Er hatte seine Korrespondenz an die Glasmalergilde geschickt, damit Rani sie gewiss erhielte und sicher wusste, dass er ihre Arbeit ehrte und respektierte.
Und er hatte nichts gehört. Keinen einzigen Brief. Keine einzige Antwort.
Während er die rachsüchtige Art der Glasmaler verfluchte, glaubte er gleichzeitig, das Sehnen verstehen zu können, das Rani für den Status in der Gilde empfunden hatte. Er wusste, dass sie sich danach sehnte, zu einer Familie zu gehören, zu einer Mutter und einem Vater, zu Brüdern und Schwestern. Zu allem, was Hals Vater ihr vor Jahren gestohlen hatte.
Hatte die Gilde ihr das geboten? Hatten sie einen Preis für ihre Kameradschaft erhoben, indem sie ihr sagten, dass sie ihn nur angreifen müsse, um für immer zu ihnen zu gehören?
Er las das Pergament erneut. Hütet Euch vor der Schlange in Eurer Mitte. Wer auch immer diese Nachricht geschickt hatte, wusste von Ranis Vergangenheit. Sie wussten, dass sie sich vor – langer Zeit
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