Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
Truhe. Ein weiterer Stoffstreifen folgte sowie eine feste Rolle Leder. Dann seine Glasmalerwerkzeuge. Er ging tatsächlich.
»Wohin gehst du?«
»Ich bin nicht sicher. Vielleicht versuche ich mein Glück auf der südlichen Straße, in Sarmonia.«
»Was? Als Kräuterhexe?«
Er runzelte über ihren Sarkasmus die Stirn. »Ich hörte, dass es dort Gauklertruppen gibt. Vielleicht braucht eine von ihnen einen Glasmaler.«
»Ich bin deine Schutzherrin. Du kannst ohne meine Erlaubnis nicht gehen.« Sie bedauerte die Worte, sobald sie ausgesprochen waren, aber es gab keine Möglichkeit, sie zurückzunehmen.
»Würdest du das tun, Ranita? Würdest du mich an dich ketten wie einen Hund in einem Stall?« Die Flächen seiner Wangen fingen das Licht ein, so dass sein übriges Gesicht im Schatten lag. Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung, auf der Hochebene Liantines. Damals hatte er ihr Angst gemacht, sie mit der geheimen Macht des Glases erschreckt. Der geheimen Macht seiner Männlichkeit. Seiner geheimen Macht.
»Bitte, Tovin! Ich brauche dich hier!«
»Das glaubst du. Du glaubst, dass ich bleiben werde, um dir wieder aus einer anderen misslichen Lage herauszuhelfen. Das kannst du nicht tun, Ranita. Du hast ein Mal zu oft erwählt, mich fortzuschicken.«
»Ich hatte keine andere Wahl!«
»Lüg nicht. Du hast in Brianta deinen Schwur geleistet, vor einem Haus voller Glasmaler, vor Mair, vor den Tausend Göttern. Ich bin den ganzen Weg gereist, um dir bei deinen Bemühungen zur Seite zu stehen, um dir bei deinem Streben zu helfen, und du hast mich beiseitegeschoben, als wäre ich ein lästiger Hund.«
»Ich…«
»Und als wir hierher zurückkehrten, hast du mich wieder fortgeschickt, damit du mit dem Mann reden konntest, den du liebst, allein reden konntest.«
»Tovin…«
»Ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast. Ich weiß, dass du glaubst, du hättest keine Wahl gehabt. Aber ich kann nicht mit dem Wissen hier leben, dass du dasselbe wieder tun wirst. Wann immer ich nicht genehm bin, wann immer du andere mehr brauchst… Damit kann ein Mann nicht leben.«
Er schloss die Truhe und sicherte sie mit einem schweren Eisenschloss. Rani zuckte zusammen, als er das Schloss zuschnappen ließ, und trat einen Schritt zurück, als er es mit zwei raschen Rucken prüfte. Auf der Suche nach Worten, nach irgendeinem Argument, sagte sie: »Crestman versucht, Hal gegen mich aufzubringen. Er will mich tot sehen.«
»Oh, du bist zu unbequem, um zu sterben.«
»Tovin!«
»Du kämpfst mit diesem Soldatenjungen, seitdem du ihn kennst.«
»Er belügt Hal.«
»Alles Teil des Dramas, Ranita. Du bist inzwischen eine bessere Schauspielerin. Du solltest das Muster erkennen.«
Das Muster erkennen. Das war es, was sie getan hatte, seit sie ein Kind war. Die Formen finden. Die Linien finden. Die Verbindungen zwischen den Dingen finden. Dinge und Orte und Menschen finden.
Sie schloss die Augen und konnte eine vor ihr ausgebreitete Landkarte sehen, eine Landkarte all dessen, was dazu beigetragen hatte, sie an diesen Ort zu führen. Sie konnte Tovin sie hypnotisieren sehen, sie lehren sehen, wie sie die Tiefen ihres Bewusstseins ausloten konnte. Sie konnte ihre ersten hektischen Versuche im Großen Brunnen der Spinnengilde sehen. Sie konnte sehen, wie Tovin neben ihr gestanden hatte, als sie auf die Riberrybäume aufpasste, auf die Octolaris aufpasste.
Sie sah jedoch auch andere Muster. Sie sah einen Sohn, der von seiner Mutter fortritt, früh und häufig, der im Auftrag der Gaukler handelte. Sie sah einen Mann, dessen Stolz hauchdünn war, dessen Selbstwertgefühl von zarter Glasarbeit und zerbrechlichen Bleiketten umhüllt war. Sie sah einen Mann, dessen Augen sich verdüsterten, wann immer sie ihre Lehnsverpflichtungen, ihr vergangenes Leben am Hof erwähnte.
Nun sah sie das Muster. Sie sah das Muster, und sie wusste, dass sie es nicht ändern konnte. Nicht jetzt. Nicht mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Nicht mit der Mission, die noch immer vor ihr lag, den Zielen, die sie erfüllen musste.
»Leb wohl, Tovin.« Sie war überrascht, dass ihre Stimme nicht zitterte.
»Leb wohl.«
Sie glaubte einen Moment, dass er sie küssen würde. Sie dachte, er würde die Entfernung zwischen ihnen überbrücken, er würde seine Arme um sie legen, er würde sie nahe genug an sich heranziehen, dass sie seinen Herzschlag hören könnte.
Aber dann sah sie seine Augen sich verschleiern. Seine Finger schlossen sich fester um den
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