Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
Heim so absonderten.
Weitere Geheimnisse. Weitere Gedanken. Weitere Rätsel, die gelöst werden mussten.
Nach heute Nacht. Rani ließ ihre Gedanken schweifen, um die ernste Angelegenheit zu meiden, die ihr bevorstand.
Sie lehnte sich aus dem Fenster und bemerkte, dass die Wächter ihre nächtlichen Posten an den Palasttoren eingenommen hatten. Ihre Fackeln brannten hell, und sie wusste, dass die Gesichter der Männer in der Sommernacht vor Schweiß schimmern würden. Sie verrenkte sich den Hals bei dem Versuch, zu den königlichen Räumen hinaufzublicken, zu dem Fenster, hinter dem Mareka schlief. Der Winkel war jedoch zu steil. Sie konnte den Balkon der Königin von ihrem Zimmer aus nicht sehen. Sie konnte ihr Ziel nicht erkennen.
Die Pilgerglocke klang durch die Nacht, rief die Gläubigen aus dem umgebenden Land herbei. Die tiefen Töne hatten mitten im Winter Leben gerettet, als sie die Pilger versammelten, die ansonsten dem Schnee oder Wölfen oder Schlimmerem erlegen wären. Jetzt, im Sommer, klang die Glocke müde, erschöpft, als sehnte sie sich nach einer einzigen Nacht Schlaf.
Schlaf. Rani würde er gewährt, nachdem sie ihre Mission ausgeführt hatte. Lange Stunden Schlaf ohne Sorgen.
Nun musste sie jedoch beginnen. Sie musste ihre Aufgabe ausführen. Ansonsten wäre die Gefolgschaft niemals zufrieden. Laranifarso würde niemals befreit.
Die Fackeln im Gang vor ihren Räumen schienen zu hell. Rani schirmte ihre Augen ab, blickte durch die Finger, damit sich ihre Sicht angleichen konnte. Die Haut unter ihren Wimpern fühlte sich angespannt an, gestreckt, als wäre sie durch das Weinen an diesem Nachmittag zu Leder geworden.
Sie glitt durch die Gänge, ohne von einem einzigen Wächter angesprochen zu werden. Sie schlich zur Küche hinab, zuversichtlich, dass Cook schlafen würde. Dies waren die wenigen dunklen Stunden, nachdem die Reste des Abendessens an die Hunde verfüttert wurden, bevor es Zeit wurde, Hefe und Mehl zu mischen, den Teig für den nächsten Tag zu kneten.
Rani kannte diese Gänge gut. Sie hatte sie mit Hal erkundet, als sie noch kaum mehr als ein Kind war, als sie zuerst in den Palast kam. In der düsteren Zeit, nachdem sie erkannt hatte, dass ihre Familie tot war, nachdem sie wusste, dass Bardo sie wahrhaftig an seinen Geheimbund verraten hatte… Hätte sie nur damals erkannt, wie leicht diese Zeit war, dass Ruhe und Behagen bestanden… Das war die Zeit, bevor Hal die Krone aufgesetzt wurde, bevor die Last eines Königreiches zwischen ihnen stand.
Hal hatte sie vom Kinderzimmer zu den Küchen geführt, hatte geheime Gänge benutzt, um geheime Vorräte an süßen Kuchen zu befreien. Nun, mit dem Wissen einer Erwachsenen, erkannte Rani, dass Cook ihre Besuche erwartet haben musste. Die Platten waren stets gefüllt, stets mit einem einzelnen Leinenhandtuch abgedeckt, stets nahe am warmen Ofen platziert.
Rani schluckte und versuchte, den Geschmack von Metall zu ignorieren. Geheime Palastgänge… Sie hatte lange geglaubt, sie gehörten der Vergangenheit an.
Sie atmete tief ein und hielt vor den Doppeltüren der Küche inne. Sie zögerte in der Dunkelheit, steckte die Hand in ihre Tasche, ließ sie auf dem Fläschchen ruhen. Es war da. Zu seiner normalen Größe zurückgekehrt. Seinem normalen Gewicht. Seiner normalen kühlen, glasartigen Beschaffenheit.
Ranis Finger fanden die niedrige Tür neben dem Eingang zur Vorratskammer. Ihre Finger handhabten den Riegel aus der Erinnerung heraus, dachten daran, ihn vollkommen hinunterzudrücken, bevor sie die Tür auf sich zu zog. Sie musste sich vornüber beugen, um unter dem Sturz hindurchzugelangen. Sie hatte sich auch früher schon vornüberbeugen müssen, als sie noch ein Kind war.
Der Geheimgang war jedoch hoch genug. Hal hatte vor Jahren vermutet, dass die Geheimtreppe zur Bequemlichkeit der Dienstboten gebaut wurde, damit sie Tabletts mit Essen und Getränken in die königlichen Gemächer tragen konnten.
Rani überraschte sich beim Erklimmen der Treppe selbst.
Sie erinnerte sich, wo sich die Treppe wand. Sie erinnerte sich, wo sie über eine zerfallene Stufe hinwegtreten musste. Sie erinnerte sich, wo leckendes Regenwasser den äußeren Rand von vier aufeinanderfolgenden Stufen rutschig gemacht hatte.
Und dann, bevor sie eine Chance hatte, sich an mehr aus ihrer Kindheit, mehr aus ihrer sorgenfreien Zeit zu erinnern, hatte sie das Ende des Geheimganges erreicht. Ein Atemholen bestätigte ihr, dass sie an ihrem Ziel war. Der
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