Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
Worte, die sie äußern sollte. Sie spürte sie in ihrem Knochenmark. Jair übermittelte ihr eine Botschaft. Sie hatte Angst. Sie wollte den Pilger leugnen. Sie wollte sich weigern. Aber sie konnte es nicht ablehnen, das Wort, die Macht, den Glanz Jairs zu umarmen.
»Der Erste Pilger sagt, dass sein Haus schlecht geführt wird, Pater. Er sagt, die Priester haben…« Berylina rang einen Moment mit sich, bemüht um eine sanftere Bezeichnung, bemüht, den Schlag abzumildern. Jedoch regte sich Jair in ihr, zornig, pulsierend, war in ihr, und sie gab jegliche Versuche auf, seine heiligen Worte zu redigieren. »Er sagt, die Priester haben Münzen gehortet, die zu seiner Huldigung gedacht waren. Man soll ihm im Licht huldigen. Auf jedem seiner Altäre sollten Wachskerzen stehen, in jeder Ecke seines Hauses. Die Priesterschaft sollte sich nicht an den Münzen bereichern, die sie horten, indem sie das Haus des Ersten Pilgers Jair in Dunkelheit hüllen.«
»Was!« Das gefurchte Gesicht des Priesters wurde tiefrot, und Berylina wich vor dem Zorn in seinen Augen zurück. Er sog den Atem ein, als wollte er jede Kerze in Brianta auslöschen, und als er Berylina erneut anfuhr, flog Speichel von seinen Lippen. »Welche Blasphemie äußerst du hier, falsche Caloya?«
Berylina wäre vielleicht davor zurückgeschreckt, in einem fremden Land Forderungen zu stellen. Sie hätte die neue Stimme vielleicht in Zweifel gezogen, die in ihren Gedanken flüsterte, die in Schattierungen von Weiß zu ihr sprach, die ihren Geist mit äußerster Stille streifte.
Sie wusste jedoch, dass sie keine falsche Caloya war. Sie wusste, dass die Tausend Götter zu ihr sprachen, dass sie zu ihr kamen, weil sie gut und treu und gläubig war. Sie erkannte, dass der Priester vor ihr sie aufgrund ihrer physischen Mängel kritisieren mochte. Er mochte sie hässlich oder entstellt oder makelbehaftet nennen, aber er konnte ihre Treue, ihren Glauben, ihre wahre, wahre Macht nicht in Frage stellen.
Sie richtete sich zu voller Größe auf und strich mit den Händen über ihre grünen Gewänder. Die Geste beruhigte ihr hämmerndes Herz, verlieh ihrem Rückgrat Stärke und Macht. »Ich wiederhole, Pater, dass ich Berylina Pilgerin bin. Ich äußere die Worte, die mich der Erste Pilger Jair zu sagen bittet. Er will Kerzen in seinem Heiligtum. Er will Licht, das seinen Geburtsort kennzeichnen soll.«
Berylina wurde sich der Menge bewusst, die sich hinter ihr versammelt hatte, der Menschen bewusst, die sich auf dem kleinen Hof drängten. Sie waren alle Pilger, die im Hause Jairs gebetet hatten, und andere, die auf der Straße vorübergegangen waren, als dieser Tumult begann. Gerade jetzt peitschten Gerüchte durch ihre Ränge, und sie wünschte, sie könnte die Sprecher zum Schweigen bringen, könnte ihnen Einhalt gebieten und sie ermahnen, dass sie ihre Gedanken, ihre Vermutungen, ihre auf Berylinas Gebet basierenden, überraschenden Schlüsse nicht wissen wollte. Ihr Wunsch, die Menge zum Schweigen zu bringen, nahm zu, als sie jemanden ausrufen hörte: »Sie spricht gegen die Priester!« Eine andere Stimme polterte: »Hexe!«
Nichtsdestotrotz brachten die Gläubigen die Skeptiker zum Schweigen. Menschen, die Berylinas Gebete bezeugt hatten, flüsterten über das, was sie gesehen hatten. Die abweichenden Stimmen huschten in die Stille.
Der alte Priester war kein Narr. Er maß die Menge mit hervortretenden Augen und erhob sich dann hinter seinem Eichentisch mühsam. Auch er trug grüne Kleidung, aber sein Gewand war mit Blättern bestickt, mit Mahnungen an Reichtum und Macht und blühende Frühlingsschönheit. Er bewegte seine Finger in einer komplizierten Geste, ein Symbol, das von der Hälfte der Menge nachgeahmt wurde. Berylina konnte die Bedeutung der Bewegung nicht erkennen.
»Pilgerin, wenn du dich über die Führung einer Kirche beschweren willst, dann musst du mit dem Hüter der Tempel sprechen. Wir besitzen hier nicht die Macht, auf die Beschwerden jedes müden Wanderers zu reagieren. Der Hüter tagt an jedem dritten Tag in der Dämmerung auf dem Markt. Plage ihn mit deinen Forderungen.«
»Das werde ich, Pater«, sagte Berylina, und ein Teil von ihr war dankbar dafür, dass sie sich an jemand anderen als diesen zornigen Priester wenden konnte. Sie hatte den Mann nicht verdammen, sondern nur die Handlungsweise in Frage stellen wollen, nur die Worte verdeutlichen wollen, die Jair in ihrem Geist sprach.
»Dann geh.« Der Priester sah sie so finster an, als
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