Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
deine letzte Wahl, Pilgerin?«
»Tarn.« Berylina flüsterte den Namen.
»Du bist ein Kind!«, brüllte der Priester. Die Menge zeigte nun ihren Unmut.
»Ich bin mit Tarns Arbeit vertraut, Pater! Ich kenne ihn inzwischen, wie wir ihn alle kennenlernen müssen. Er hat mich bei meiner Geburt begrüßt, als er mir meine Mutter nahm, und ich weiß, dass er bis zum Ende meiner Tage auf mich warten wird.«
»Kannst du nicht den Gott eines Einzelkindes wählen? Kannst du nicht Shir ehren, den Gott des Gesangs? Oder Purn oder Shul?«
»Der Gott des Tanzes kommt nicht leicht zu mir, Pater, und der Gott der Fröhlichkeit ignoriert mich vollkommen.« Berylina trat näher an den Tisch heran, sicher, dass sie diesen Priester überzeugen konnte, wie sie letztendlich auch Pater Siritalanu überzeugt hatte. »Pater, eine Pilgerreise soll nicht leicht sein. Der Pilger soll dabei nicht herumtollen und spielen. Ich muss mich prüfen und bei dieser Prüfung meinen Glauben an all die Tausend Götter gestalten. Ich habe lange, lange Tage, und noch längere Nächte, darüber gebetet. Haltet mich nicht von meiner Bemühung ab, Pater. Zwingt mich nicht, meine Pilgerrolle zu ändern.«
Während sie sprach, umwölkten sich die Augen des Priesters, und sie fragte sich, welche Erinnerungen sie in ihm heraufbeschworen hatte, welche Geschichte sie bei ihm freigesetzt hatte. Sein Gesicht wurde weicher. Er war kein zorniger Torhüter mehr. Stattdessen war er ein junger Mann, ein leidenschaftlicher Mann, ein Mann, der seinen Glauben und seine Berufung unter all den Tausend Göttern gefunden hatte.
»Tarn«, sagte er und tauchte den Federkiel noch einmal ins Tintenfass. »Gut, Kind. Wenn du glaubst, dass der Gott des Todes für dich angemessen ist, kann ich dir nur meinen Segen erteilen.«
»Mehr würde ich nicht verlangen, Pater. Mehr kann mir kein lebender Mensch gewähren.« Berylina sah zu, wie er die Pilgerrolle beendete. Die Linien des Federkiels beriefen das vertraute Grün-Schwarz von Tarns Umhang herauf, das Schimmern des Rückenschildes eines Käfers in den Winkeln ihres Geistes. Sie bewegte ihre Finger in dankbarer Annahme.
Dann roch sie den karmesinroten Wachs, den der Priester auf das Pergament tropfen ließ. Sie hörte das leise Knistern, als er sein goldenes Siegel hervornahm, und als sie schluckte, schmeckte sie Tränen hinten in ihrer Kehle. Sie erschauderte und strich sich mit den Händen über die Arme, versuchte, sich an das Gefühl von Zils sanften Gewändern zu erinnern, die Berührung tröstlichen Hermelins.
Als der Priester die Pilgerrolle darbot, richtete Berylina sich in ihrem Caloyagewand gerade auf. »Ich weihe meine Pilgerreise all den Tausend Göttern, aber speziell Ile und Mip. Nim und Zil. Und Tarn.«
Der Tonfall des Priesters zeugte von Erleichterung, als er ihr das Pergament reichte. »Gehe hin, Pilgerin. Gehe voran, und finde dein Schicksal innerhalb der heiligen Grenzen Briantas und in der ganzen weiten, weiten Welt. Gehe im Namen Iles und im Namen Mips, im Namen Nims und im Namen Zils voran. Gehe voran, Pilgerin, im Namen Tarns.«
Berylina nahm das Pergament mit einer Verbeugung entgegen. Dann trat sie zurück und schaute zu den vier Soldaten, die sie unterstützt hatten – die beiden, die den Priester am meisten unter Druck gesetzt hatten, derjenige, der Stand gehalten hatte, derjenige, der geschwankt hatte. Sie nickte, und die Hände aller vier Männer vollführten eilig ein briantanisches Zeichen. Berylina kannte die richtige Antwort nicht, und so nickte sie nur.
Dann durchschritt sie die murmelnde Menge und versuchte, die seltsame Mischung aus Ehrfurcht und Angst und Zorn zu ignorieren. Sie zog aus dem hinter ihr gehenden Pater Siritalanu Kraft, Kraft, sich aufrecht zu halten, während die Hitze von den Steinen unter ihren Füßen abstrahlte, bemüht, das siegreiche Flattern der grün-schwarzen Schwingen Tarns zu ignorieren, während sie den heiligen Hof verließ.
7
Rani beobachtete, wie Mair von Laranifarso aufblickte, der an ihrer Brust eingeschlafen war. Die Unberührbaren-Frau senkte ihre Stimme, offensichtlich bemüht, ihren Sohn nicht zu stören, aber ihre Worte klangen dringlich. »Du musst irgendwann schlafen, Rai.«
»Ich bin nicht müde.«
»Du hast gebadet, bevor die Sonne aufging, und ich hörte dich bis spät in die Nacht diese Farben mahlen.«
»Es tut mir leid. Ich wollte dich nie mit meiner Arbeit stören. Ich werde versuchen, heute Nacht leiser zu
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