Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
schleichendes Gift enthielte.
Wie um einem Streit vorzubeugen, bot Mareka ihm ein Bündel Stoff dar. Er trat automatisch zurück. Seine Hände schienen plötzlich zu groß, und er wusste, dass er über seine eigenen Zehen stolpern würde, wenn er auch nur einen einzigen Schritt täte. Der Stoff würde ihm entgleiten, das Kind würde sich winden, wenn er es am wenigsten erwartete.
Ein winziges Lächeln verzog Marekas Lippen. Sie verstand ihn. Sie verstand seine Ängste, und doch würde sie sich nicht über ihn lustig machen, nicht wenn er sein Kind, ihr gemeinsames Kind nur beschützen wollte. Sie bedeutete ihm, sich auf den Stuhl neben dem Feuer zu setzen, einen stabilen, dreibeinigen Stuhl mit einer starken Rückenlehne. Er folgte der Aufforderung und streckte die Hände aus.
Das Kind wog mehr als vorher – wie lange war es her? Fünf Tage? Oder hatte Hal seinen eigenen Sohn falsch in Erinnerung? Der Junge wand sich, als Hal ihn nahm, streckte sich schläfrig in seiner weichen Windel. Hal senkte das Baby rasch auf seine zusammengepressten Knie, wollte die kostbare Last ausgewogen halten, ihn beschützen, ihn sicher vor Schaden bewahren.
Marekanoran öffnete ruckartig die Augen, als wäre er über die fremde Berührung überrascht. Hals Blick begegnete dem seines Sohnes, und er verspürte die schockartige Erkenntnis, einen Ansturm von Macht. Dies war sein Erbe. Dies war das Kind, welches das ben-Jair-Blut in die Zukunft tragen würde. Dies war der Sohn, der die Bedeutung seines Lebens, die Bedeutung des Lebens seines Vaters und all der Väter vor ihm krönen würde. Sein Hals war wie zugeschnürt vor Stolz, und Tränen traten in seine Augen. Stolz und Liebe und ein großartiges, wunderbares Gefühl rechtmäßiger Macht.
»Er entwickelt sich gut, Mareka.«
»Ja.« Er hörte das Lächeln in ihrer Stimme. »Ah! Da! Jetzt ist er wach!«
Ihre Ankündigung wurde davon begleitet, dass der Säugling den Mund öffnete und Luft einsaugte. Und dann begann er so zu schreien, dass der Klang von der irdenen Decke in dem engen Raum widerhallte.
Hal wollte das Baby hektisch hochnehmen, aber seine Bewegungen waren unbeholfen, und der Junge drohte von seinen Knien zu gleiten. Hal wollte zu dem Kind sprechen, wollte versuchen, ihn zu beruhigen, aber er wusste, dass der Junge keine Worte verstehen würde. Er war immerhin noch ein Säugling, ein hilfloses Wesen.
Der Klang wurde lauter, auch kräftiger, und Hal warf einen nervösen Blick zur Decke über ihnen. Sie war getüncht und wirkte sicher, könnte aber bei der Belastung bröckeln.
»Mareka!«, wollte er rufen, aber sie war bereits vorgetreten und hob das Baby hoch. Sie schnalzte bereits mit mütterlicher Zunge und gurrte mit einer sanften Stimme, die Hal sie noch nie zuvor hatte benutzen hören.
Sobald sie ihm das Kind abgenommen hatte, sprang Hal auf. »Geht es ihm gut? Habe ich etwas falsch gemacht? Habe ich ihm wehgetan?«
»Es geht ihm gut«, sagte Mareka und setzte sich auf den Stuhl, den Hal verlassen hatte. Sie balancierte das Baby mit einer Hand, während sie nach dem sorgfältig drapierten Kragen ihres Gewandes tastete. »Er hat nur Hunger.«
Hal konnte spüren, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg, als seine Frau ihrem gemeinsamen Kind die Brust darbot. Er wusste, dass ihr Handeln nur normal war, dass Mütter in ganz Sarmonia, in ganz Morenia, in der ganzen bekannten Welt so ihre Kinder nährten. Alle Babys saugten. Und doch wollte er den Streit erneut beginnen. Er wollte von Mareka fordern, eine Amme einzustellen.
Und sie hätte es getan, wenn sie daheim in Moren wären. Sie hätte es getan, wenn er sein Königreich für sie sicher gemacht hätte. Sie hätte es getan, wenn die Gefolgschaft nicht lauthals ihren Tod und Marekanorans Ermordung fordern würde, wenn der Krieg nicht um sie herum toben würde. Sein Erröten vor Verlegenheit wurde zu einem Erröten vor Zorn – vor blankem Zorn auf sich selbst.
Bevor er diesem Zorn Luft machen konnte, bevor er eine weitere Reihe von Entschuldigungen hervorbringen konnte, öffnete sich die Tür zur Hütte. »Sire!«, rief eine vertraute Stimme.
Eine vertraute Stimme, aber der Titel war ungewohnt, hier in diesen fremden Wäldern. Hal trat automatisch vor, blockte die Sicht des Neuankömmlings auf die Feuerstelle, auf Mareka ab. »Ja, Farso?« Er versuchte nicht einmal, die Verwirrung in seiner Stimme zu verbergen. Woher hatte der Adlige gewusst, dass er hier war? Wie hatte er zu dem geschützten Bereich von Marekas
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