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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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begann eine Idee Gestalt anzunehmen, er zitterte vor Erregung, während das uralte Kaufmannsblut rascher durch seine Adern strömte. Ein hübsches Mädchen mit einem bekannten Genie als Vorfahren - und auf der anderen Seite seine Glashütte, die ums Überleben kämpfte. Das alles zusammen ergab nur ein Wort: Chance. Und das war eines seiner Lieblingswörter.
    Vier Tage später traf ein sorgfältig verpacktes Paket in Elinor Manins Haus in Islington ein. Es enthielt einen wunderschön gearbeiteten venezianischen Spiegel, besetzt mit Glasblumen, die in ihrer Zartheit vollkommen echt wirkten. Es lag kein Schreiben dabei. Elinor saß am Küchentisch und betrachtete in dem Spiegel ihr sechzigjähriges Gesicht. Dann fing sie an zu weinen, und ihre heißen Tränen zerplatzten auf dem kühlen Glas. Ihr war zumute, als wäre der Spiegel ein letzter Gruß von Bruno.
     

Kapitel 7
    Der Löwe und das Buch
    Die Questura in Castello war ein imposantes Bauwerk, denn wie viele öffentliche Gebäude in Venedig blickte das Polizeipräsidium auf eine Vergangenheit als Palazzo zurück. Das zeigte sich unter anderem an den Mittelpfosten der Fenster, die im maurischen Stil gehalten waren. Trotzdem wäre Nora froh gewesen, wenn sie dem Präsidium nur diesen einen einzigen Besuch hätte abstatten müssen.
    Doch das blieb ein Wunschtraum. Da die Mühlen der Stadtverwaltung von Venedig so langsam mahlten, wie Adelino angekündigt hatte, war dies bereits ihr sechster Besuch in vier Wochen. Nora hatte mittlerweile unzählige Formulare, die unverständliche Titel und Nummern trugen, ausgefüllt. Sie hatte jede einzelne Bescheinigung beigebracht, die sie besaß, von der Geburtsurkunde bis hin zu ihrem Führerschein. Dabei war es wenig hilfreich, dass sie es jedes Mal mit einem anderen Polizeibeamten zu tun hatte und immer wieder haarklein ihre ganze Geschichte zum Besten geben musste, wobei die Reaktionen ihrer Zuhörer von unverhohlener Ungläubigkeit   bis zu Gleichgültigkeit reichten. Die englische Signora hatte - wie auch immer - eine Lehrstelle bei den Vetraie auf Murano bekommen und brauchte nun eine Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitserlaubnis. Jeder Beamte ging die Sache anders an. Der eine war der Meinung, sie benötige zuerst einen Wohnsitz in Venedig, der ihr zu einer Aufenthaltsgenehmigung, dem permesso di soggiorno, verhelfen würde, dann erst könne sie den permesso di lavoro, die Arbeitserlaubnis, beantragen. Ein anderer sagte dagegen, dass sie erst ihren permesso di lavoro brauche, den sie dann von ihrem Arbeitgeber unterschreiben lassen müsse, damit sie sich eine Wohnung in der sestiere suchen könne. Erst dann könne sie den permesso di soggiorno beantragen.
    Ich könnte schreien.
    Im Laufe dieser Besuche hatte sich Noras Benehmen grundlegend gewandelt: Von einer freundlichen, ein wenig hilflos wirkenden Blondine - eine Rolle, mit der sie auf Ämtern immer sehr gut gefahren war - hatte sie sich in eine abgebrühte Xanthippe verwandelt, die unnachgiebig auf ihr Recht pochte. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass sie mit ihrem Antrag keinen Schritt weiter kam. Sie schlief deswegen schon schlecht.
    Immer wieder habe ich den gleichen Traum. Ich treibe unter Wasser in der Lagune und bekomme keine Luft mehr. Doch ich kann nicht an die Oberfläche gelangen, weil ich mich in den Massen der Formulare verfangen habe.
    An einem schönen, sonnigen Tag im Mai trat sie wieder einmal mit voller Entschlossenheit und mit einem starren, aufgesetzten Lächeln durch die Türen des Polizeipräsidiums.
    Ich bin jetzt schon einen vollen Monat in Venedig. Ich muss das hier endlich hinter mich bringen.
    Wie es bei jedem wichtigen Lebensabschnitt geschieht,   war dieser Monat in rasantem Tempo vergangen. Andererseits konnte Nora kaum glauben, dass es erst vier Wochen her war, dass sie in Belmont zwischen den Trümmern ihrer Ehe gesessen hatte. Seit jenem ersten Arbeitstag, als sie die Fondaria mit dem Gefühl betreten hatte, es sei ihr erster Schultag, hatte sie in der Werkstatt hart gearbeitet. In dem Bestreben, nicht allzu sehr aufzufallen, hatte sie an jenem Tag ihr Haar unter einem Kopftuch versteckt und ihre älteste Jeans angezogen. Doch es hatte nicht funktioniert. Die Hitze war so groß gewesen, dass sie schon nach einer halben Stunde das Tuch abgenommen und barfuß in Jeans und ärmelloser Weste gearbeitet hatte. Die Bemerkungen der Arbeiter hatten nicht lange auf sich warten lassen.
    Doch alles in allem war Noras erster

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