Die Glasblaeserin von Murano
ausgezeichnet. An dem Tag, als ihr Probemonat vorüber war, ging sie zu Adelino. Der äußerte sich zufrieden über ihre Fortschritte und bat sie zu bleiben. Allerdings machte er sich Sorgen, weil sie noch immer keine Arbeitserlaubnis erhalten hatte. Er forderte sie so nachdrücklich auf, sich darum zu kümmern, als hätte er es aus irgendeinem Grund eilig.
Also machte sich Nora einmal mehr auf den Weg zum Polizeipräsidium. Diesmal war sie fest entschlossen, das Gebäude nicht ohne eine Arbeitserlaubnis zu verlassen. Sie wartete geduldig in der zuständigen Abteilung und vertrieb sich die Zeit damit, Broschüren über die Gefahren des Drogenmissbrauchs, Richtlinien für den Betrieb von Motorbooten und Warnungen vor Straßenkriminalität zu lesen. Als man sie endlich in eines der Büros vorließ, stellte sie mit einem Seufzer fest, dass sie wieder einmal einem jungen Polizisten gegenüberstand, der mit ihrem Fall bisher nichts zu tun gehabt hatte. Nora bereitete sich innerlich darauf vor, ihre ganze Geschichte ein weiteres Mal zu erzählen.
Doch dieser junge Mann mit dem forschen Auftreten schien sich besser auszukennen als seine Vorgänger. Er wusste in Noras Angelegenheit recht gut Bescheid, was sie so sehr verblüffte, dass ihr erst etliche Zeit später auffiel, dass sie ihn schon einmal gesehen hatte. Noch Jahre später konnte sie sich genau an diesen Augenblick erinnern.
Beim Durchblättern ihrer Unterlagen war er offensichtlich auf eine Unklarheit gestoßen. Er verglich ihre Geburtsurkunde mit dem Antrag auf Arbeitserlaubnis und runzelte dabei leicht die Stirn.
«Signora.» Er blätterte ein wenig in den Papieren. «In Ihrem Antrag haben Sie den Namen Nora Manin eingetragen. Aber auf Ihrer Geburtsurkunde des Ospedale Civili Riunti hier in Venedig sind Sie als Leonora Angelina Manin geführt. Können Sie mir das erklären?»
«Nora ist eine Abkürzung. Ich bin in England aufgewachsen, und meine Mutter hat die englische Version meines italienischen Names benutzt.» Der Beamte nickte, ohne die Augen von den Papieren vor sich zu heben. «Ich verstehe. Aber haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich Sie bitten muss, dieses Formular noch einmal mit Ihrem Taufnamen auszufüllen.» Er stand auf und zog ein neues braunes Formular aus dem Aktenschrank.
Nora versuchte, sich ihre Verärgerung nicht anmerken zu lassen. «Kann ich nicht einfach dieses abändern?»
Als Antwort holte der junge Polizeibeamte seinen Füllfederhalter heraus, schraubte die Kappe ab und legte ihn mit Nachdruck vor sie hin.
Nora kochte innerlich vor Wut, während sie das Formular neu ausfüllte. Es musste mittlerweile das vierte Mal sein und immer wegen solch einer Kleinigkeit! Und was die Sache noch schlimmer machte, war, dass das alte bereits von Adelino unterschrieben worden war. Sie würde ihn bitten müssen, das neue abermals zu unterzeichnen, mit dem sie dann wieder hierher zurückkommen musste. Wortlos verfluchte sie das Formular, die Stadt und diesen Pfennigfuchser, der sie nach seiner Pfeife tanzen ließ. Mit hasserfülltem Blick sah sie zu, wie er schließlich noch einmal penibel die Eintragungen überprüfte.
«Bene», sagte er endlich und reichte ihr den Bogen. Und dann, mit dem ersten Anflug von Freundlichkeit: «Wissen Sie, Leonora ist viel schöner als Nora. Und es ist ein wunderbarer Name für eine Venezianerin. Sehen Sie.»
Er zeigte auf den Markuslöwen oben auf Noras Formular . «Der Löwe. II Leone. Leonora.» Zum ersten Mal schaute er ihr direkt in die Augen, und da erkannte sie ihn wieder - er war der Mann, den sie beim Vivaldikonzert in der Santa Maria della Pietä angesehen hatte. Sie fragte sich, ob er sie auch erkannt hatte, und bemerkte daher erst ein wenig später, was er über ihren Namen gesagt hatte. Es war genau das Gegenteil von Stephens Worten - dass der Name Leonora hochgestochen und gekünstelt sei. Hier war er es nicht. Nach Venedig passte er perfekt. Im Gegensatz zu Nora, der hier wiederum ungewöhnlich war. Kein Zweifel - sie wurde langsam zur Venezianerin. Nora schaute den Mann an, der diese Erkenntnis in ihr ausgelöst hatte, und lächelte. Er erwiderte ihr Lächeln, wurde dann aber sofort wieder dienstlich. Er blickte noch einmal auf die Formulare. «Sie wohnen noch immer im Hotel Santo Stephano?»
«Ja.»
Der Polizist zog auf eine Weise scharf den Atem ein, mit der man in allen Sprachen auf hohe Kosten anspielt.
«Ich weiß», erwiderte Nora freimütig. «Und ich bin schon auf der Suche
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