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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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stehe auf.
    »Ich muss dich etwas fragen«, sage ich.
    Sie macht halt, dreht den Kopf nach hinten, wartet.
    »Ich würde gern wissen, was mit dem Blut ist.«
    Sie sagt nichts, der Stechrüssel zittert weiter fast unmerklich.
    »Mit meinem Blut«, sage ich. »Und mit dem des kreolischen Mädchens. In dir drin.«
    »Was willst du wissen?«
    »Ich weiß nicht. Was mit dem vermischten Blut ist, wie es war.«
    »Ich habe dich gestochen, aber ich habe nichts von deinem Blut genommen«, sagt sie. »Da hat sich nichts vermischt.«
    Sie wendet sich erneut der Tiefe des Waschbeckens zu, setzt den Abstieg fort, erreicht den Abfluss und verschwindet darin.
    Klopfen an der Tür. Ich mache auf. Die Schnur fragt mich, ob ich fertig bin. Ich sage, ich habe mich nicht gewaschen, ich bin müde. Als ich aus dem Bad trete, fasst sie mich am Kopf an, und ich bleibe stehen, ich drehe mich zu ihr hin und reibe mit dem Arm über die Stelle, wo sie mich berührt hat, gehe dann den Gang hinunter. Im Schlafzimmer schläft der Lappen schon. Ich mache die Nachttischlampe an, ziehe mich aus, aber den Schlafanzug nicht an. Ich
schlüpfe unter die Decken und habe das Gefühl, in eine Felsspalte zu schlüpfen. Ich schlafe sofort ein, in der Spalte.
     
    Am nächsten Tag gehe ich nicht zur Schule. Ich höre Radio. Sie sagen, dass es in Palermo eine Explosion gegeben habe. Sie sagen in welcher Straße. Sie sagen, dass vier gerade vorbeikommende junge Leute von der Explosion betroffen gewesen seien, dass einer von ihnen schwere Verbrennungen davongetragen habe. Es gebe noch kein Bekennerschreiben, doch man tendiere dazu, den schweren Zwischenfall mit den letzten Ereignissen in der Stadt in Verbindung zu bringen, die jedoch bisher keine ähnlichen Ausmaße erreicht hätten. Sie sprechen von terroristischer Bedrohung. Von einem neuen Kürzel. Von Subversion. Vom bewaffneten Kampf, der sich rasend schnell auch in Städten ausbreite, die bisher immun gewesen seien. Während ich zuhöre, denke ich, es ist, als existiere man in der dritten Person. Es wird von einem erzählt. Man verwandelt sich vom Subjekt zum Objekt, existiert in der Wahrnehmung der anderen. Das mag als Missbrauch erscheinen, als eine Form der Manipulation, doch es ist eine Lust.
    Strahl sagt mir am Telefon, dass er Flug gestern nach Hause in die Via Ugdulena gebracht und gewartet habe, bis er sich beruhigte und nach oben ging, dann auch selbst gegangen sei. Wir reden über das, was sie im Radio gesagt haben. Von dem Jungen mit Verbrennungen. Er meint, ich solle morgen keine Zeitungen lesen, kein Radio mehr hören und nicht fernsehen.
    »Wir haben keinerlei Schuld«, sagt er. »Manchmal geschieht das Böse, ohne beabsichtigt zu sein, und trifft einen, den man niemals treffen wollte.«
    »Doch manchmal ist das Böse kein Zufall«, sage ich. »Wir sind dort hingegangen, um es zu tun.«
    »Das stimmt, doch es sollte ein Symbol sein.«
    »Es sollte ein Symbol sein, doch wir haben fast jemanden umgebracht.«
    »Nein, Genosse Nimbus, nein. Wir haben niemanden fast umgebracht . Wir haben ein Auto in die Luft gejagt. Wir haben
Eigentum zerstört, das Eigentum des Schuldirektors. Das war etwas Symbolisches. Das haben wir gemacht. Die Explosion hingegen gehört zum Unkontrollierbaren. Sie ist wie ein Erdbeben: Sie ist nicht auf irgendwen wütend, sie hasst niemanden. Wir sind verantwortlich für das Anzünden der Zündschnur: Was danach geschieht, hat nichts mehr mit uns zu tun.«
    Er ist eine Weile still, wartet, dass seine Argumentation sich setzt. Im Telefonkabel, in meinem Denken. Dann erzählt er mir, dass er schon in Kontakt mit Flug gewesen sei, der sich inzwischen beruhigt habe. Er schäme sich wegen gestern, er hätte nicht die Kontrolle verlieren dürfen. Es sei die Wut über die Zündschnur gewesen, die nicht brennen wollte, über die Realität, die sich dem Plan widersetzte. In der Nacht habe er darüber nachgedacht und verstanden. Die Realität sei in Bewegung, der Plan müsse ebenso beweglich sein. Er sagt, er wolle uns heute Nachmittag auf der Lichtung treffen. Um sechs. Um darüber zu diskutieren.
    Auf der Straße höre ich die Sirenen. Mobilisierung. Grau-grüne Polizeiwagen. Blaulicht. Die Antenne nach hinten ausgezogen. Der Staub, der im Vorbeifahren aufgewirbelt, zusammengeballt, zu einer Kugel wird; dann lösen sich die Verbindungen, zerbröckeln ganz, die einzelnen Teilchen zerstreuen sich, fallen punktförmig zurück auf den Boden.
    Die anderen sind schon da. Sie sind guter

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