Die Glasglocke (German Edition)
begriff ich, daß er den Ahnungslosen die ganze Zeit über nur gespielt hatte.
»Erzähl!« Langsam kämmte ich mein Haar, wieder und wieder, und spürte, wie sich mir bei jedem Strich die Zinken des Kammes in die Wange gruben. »Wer war es?«
Buddy schien erleichtert, daß ich nicht wütend war. Er schien sogar erleichtert, daß er endlich jemandem erzählen konnte, wie er verführt worden war.
Natürlich, jemand hatte Buddy verführt, nicht Buddy hatte damit angefangen, es war eigentlich nicht seine Schuld. Es war diese Kellnerin in dem Hotel am Cape Cod gewesen, in dem er letzten Sommer als Aushilfe gearbeitet hatte. Buddy war aufgefallen, daß sie ihm sonderbare Blicke zuwarf und ihn im Gedränge der Küche mit ihren Brüsten streifte, deshalb fragte er sie eines Tages, was denn los sei, und sie sah ihm direkt in die Augen und sagte: »Ich will dich.«
»Und dazu ein bißchen Petersilie?« hatte Buddy unschuldig gelacht.
»Nein, ein bißchen Nacht«, hatte sie gesagt.
So hatte Buddy seine Reinheit und seine Unschuld verloren.
Zuerst glaubte ich, er habe mit der Kellnerin nur dieses eine Mal geschlafen, aber als ich ihn fragte, wie oft, bloß um sicherzugehen, da sagte er, er wisse es nicht mehr genau, ein paarmal in der Woche während des restlichen Sommers. Ich multiplizierte drei mit zehn und kam auf dreißig, was mir völlig unbegreiflich erschien.
Danach gefror etwas in mir.
Als ich wieder im College war, fragte ich die eine oder andere ältere Studentin, was sie tun würde, wenn ihr ein Junge, mit dem sie zusammen wäre, plötzlich erzählte, er habe im Sommer dreißigmal mit irgendeiner schlampigen Kellnerin geschlafen. Aber diese Studentinnen sagten, so seien die meisten Jungen, und eigentlich könne man es ihnen nicht vorwerfen, solange man nicht zumindest fest mit ihnen gehe oder verlobt sei.
Es war auch nicht so sehr der Gedanke, daß Buddy mit jemandem geschlafen hatte, der mir zu schaffen machte. Ich hatte von allen möglichen Leuten gelesen, daß sie miteinander schliefen, und wenn es ein anderer Junge gewesen wäre, hätte ich ihn bloß nach den interessantesten Einzelheiten gefragt und wäre vielleicht losgezogen, hätte selbst mit jemandem geschlafen, um quitt zu sein, und hätte nicht weiter darüber nachgedacht.
Unerträglich fand ich, daß Buddy so getan hatte, als sei ich besonders sexy und er besonders unschuldig, während er die ganzeZeit über ein Verhältnis mit diesem Flittchen hatte und sich im stillen über mich lustig machte.
»Was hält deine Mutter von dieser Kellnerin?« hatte ich Buddy an jenem Wochenende gefragt.
Buddy hatte eine erstaunlich enge Beziehung zu seiner Mutter. Immerzu zitierte er, was sie über das Verhältnis zwischen Mann und Frau sagte, und ich wußte, daß Mrs. Willard eine fanatische Anhängerin der Jungfräulichkeit bei Männern und Frauen war. Als ich zum erstenmal zum Essen bei den Willards war, sah sie mich seltsam scharf und forschend an, und ich wußte, daß sie herauszufinden versuchte, ob ich noch Jungfrau war oder nicht.
Buddy wurde verlegen, wie ich vermutet hatte. »Mutter hat mich nach Gladys gefragt«, gab er zu.
»Und was hast du gesagt?«
»Ich habe gesagt, Gladys ist frei, weiß und einundzwanzig.«
Ich wußte, so rüde würde Buddy mit seiner Mutter über mich nie sprechen. Andauernd kam er darauf zurück, wie seine Mutter einmal gesagt hatte: »Ein Mann, der will eine Gefährtin, und eine Frau, die will uneingeschränkte Sicherheit« oder »Ein Mann, das ist ein Pfeil in die Zukunft, und eine Frau, das ist der Ort, von dem der Pfeil wegschnellt« – bis es mir zuviel wurde.
Jedesmal, wenn ich Einwände machte, sagte Buddy, seine Mutter habe immer noch Spaß an seinem Vater und ob das denn nicht wunderbar sei, bei Menschen in ihrem Alter, das müsse ja bedeuten, daß sie wisse, worauf es ankommt.
Jedenfalls hatte ich gerade beschlossen, mit Buddy ein für allemal Schluß zu machen, nicht weil er mit dieser Kellnerin geschlafen hatte, sondern weil er nicht den Mumm hatte, es offen zuzugeben und als Teil seines Charakters zu akzeptieren, als das Telefon im Flur klingelte und jemand in vielsagendem Singsang rief: »Es ist für dich, Esther, aus Boston!«
Ich wußte sofort, daß etwas passiert sein mußte, denn Buddywar der einzige Mensch, den ich in Boston kannte, und Ferngespräche führte er nie mit mir, weil es so viel teurer war als Briefe. Einmal, als er mir etwas möglichst sofort hatte mitteilen wollen, hatte er in
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