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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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ganzem Herzen, ich könnte in sie hineinschlüpfen und den Rest meines Lebens damit verbringen, eine Redewendung nach der anderen zu schnarren. Vielleicht würde mich das nicht glücklicher machen, aber es wäre ein Steinchen Tüchtigkeit mehr zwischen all den anderen Steinchen.
    Irgendwann kam es mir vor, als würden sich Constantin und die russische Dolmetscherin und all die schwarzen, weißen und gelben Männer, die da unten hinter ihren beschilderten Mikrophonen debattierten, immer weiter von mir entfernen. Ich sah, wie sich ihre Münder lautlos öffneten und schlossen, als säßen sie auf dem Deck eines auslaufenden Schiffes, während ich inmitten einer großen Stille allein zurückblieb.
    Ich fing an, alles aufzuzählen, was ich nicht konnte.
    Mit dem Kochen ging es los.
    Meine Großmutter und meine Mutter waren so gute Köchinnen, daß ich ihnen alles überließ. Sie versuchten mir immer wieder dieses oder jenes Gericht beizubringen, aber ich sah einfach nur zu und sagte: »Ja, ja, ich verstehe«, während mir die Anweisungen wie Wasser durch den Kopf rannen, und nachher verdarb ich immer alles, was ich anfing, so daß sie mich nicht mehr baten, es noch einmal zu versuchen.
    Ich weiß noch, wie mir Jody, meine beste und einzige Freundin im ersten Jahr auf dem College, eines Morgens in ihrem Haus Rühreier machte. Sie schmeckten ungewöhnlich, und als ich Jody fragte, ob sie etwas Besonders dazu genommen hätte, sagte sie, Käse und Knoblauchsalz. Ich fragte, wer ihr den Tip gegeben hätte, und sie antwortete, niemand, sie hätte es sich ausgedacht. Aber sie war überhaupt praktisch veranlagt und studierte Soziologie im Hauptfach.
    Von Stenographie hatte ich ebenfalls keine Ahnung.
    Das bedeutete, ich würde nach dem College keine gute Stelle bekommen. Immer wieder erklärte mir meine Mutter, niemand wolle eine Studentin, die nur Englisch studiert hatte. Aber eine Anglistin mit Stenographiekenntnissen sei etwas ganz anderes. Die wolle jeder. Die würde bei allen aufstrebenden jungen Männern gefragt sein und schon bald einen aufregenden Brief nach dem anderen von ihrem Stenoblock abtippen.
    Das Problem war, ich haßte die Vorstellung, Männern irgendwie dienstbar zu sein. Ich wollte selbst aufregende Briefe diktieren. Außerdem kamen mir die kleinen Stenographiekürzel in dem Buch, das mir meine Mutter zeigte, genauso schlimm vor wie t gleich Zeit und s gleich Gesamtentfernung.
    Meine Liste wurde länger.
    Ich war eine miserable Tänzerin. Ich konnte beim Singen den Ton nicht halten. Ich hatte kein Gleichgewichtsgefühl, und wenn wir im Sportunterricht mit ausgestreckten Armen und einem Buch auf dem Kopf auf einem schmalen Balken balancieren sollten, fiel ich jedesmal herunter. Ich konnte nicht reiten und nicht Ski fahren, was ich sehr gern gekonnt hätte, aber eswar zu teuer. Ich konnte nicht Deutsch sprechen oder Hebräisch lesen oder Chinesisch schreiben. Von den meisten der sonderbaren, abgelegenen Länder, die die UNO -Leute vor mir repräsentierten, wußte ich nicht einmal, wo sie auf der Landkarte lagen.
    Im schalldichten Mittelpunkt des UNO -Gebäudes, zwischen Constantin, der Tennis spielen und simultandolmetschen konnte, und der Russin, die so viele Redewendungen kannte, kam ich mir zum erstenmal in meinem Leben furchtbar unzulänglich vor. Aber das schlimmste war, ich war schon immer unzulänglich gewesen, ich hatte nur nie darüber nachgedacht.
    Gut war ich nur in einem, im Erringen von Stipendien und Preisen, aber diese Ära neigte sich ihrem Ende zu.
    Ich kam mir vor wie ein Rennpferd in einer Welt ohne Rennbahnen oder wie ein College-Meister im Football, der es plötzlich mit der Wall Street und mit Anzug und Krawatte zu tun bekommt, während seine ruhmreichen Tage zu einem kleinen goldenen Pokal auf dem Kaminsims schrumpfen, mit eingraviertem Datum wie auf einem Grabstein.
    Ich sah, wie sich mein Leben vor mir verzweigte, ähnlich dem grünen Feigenbaum in der Geschichte.
    Gleich dicken, purpurroten Feigen winkte und lockte von jeder Zweigspitze eine herrliche Zukunft. Eine der Feigen war ein Ehemann, ein glückliches Zuhause und Kinder, eine andere Feige war eine berühmte Dichterin, wieder eine andere war eine brillante Professorin, die nächste war Ee Gee, die tolle Redakteurin, die übernächste war Europa und Afrika und Südamerika, eine andere Feige war Constantin und Sokrates und Attila und ein Rudel weiterer Liebhaber mit seltsamen Namen und ausgefallenen Berufen, eine weitere Feige war

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