Die Glasglocke (German Edition)
seiner medizinischen Fakultät herumgefragt, ob nicht jemand an diesem Wochenende zu meinem College fahren würde, und hatte natürlich jemanden gefunden, dem er ein Blatt für mich mitgab, und ich hatte es noch am selben Tag bekommen. Er brauchte nicht mal eine Briefmarke zu bezahlen.
Es war tatsächlich Buddy. Er erzählte, bei der jährlichen Röntgenuntersuchung im Herbst habe sich herausgestellt, daß er Tb habe, und nun gehe er mit einem Stipendium für Studenten, die an Tb erkrankt seien, in eine Tb-Klinik in den Adirondacks. Dann sagte er, ich hätte seit dem letzten Wochenende nicht geschrieben, es sei doch hoffentlich alles in Ordnung zwischen uns, und ob ich ihm bitte wenigstens einmal in der Woche schreiben und ihn in den Weihnachtsferien in dieser Tb-Klinik besuchen könnte?
Ich hatte Buddy noch nie so durcheinander erlebt. Er war sehr stolz auf seine perfekte Gesundheit und hatte mir immer gesagt, es sei psychosomatisch bedingt, wenn meine Nebenhöhlen verstopft seien und ich nicht atmen könne. Ich fand diese Einstellung für einen Arzt ziemlich sonderbar und dachte, vielleicht sollte er lieber Psychologie studieren, aber gesagt habe ich es ihm natürlich nie.
Ich sagte Buddy, wie leid mir die Sache mit der Tb tue, und versprach zu schreiben, aber als ich auflegte, tat es mir kein bißchen leid. Ich spürte nur eine herrliche Erleichterung.
Ich dachte, vielleicht sei die Tb eine Strafe dafür, daß Buddy eine Art Doppelleben geführt und sich anderen immer so überlegen gefühlt hatte. Und mir fiel ein, wie praktisch es war, daß ich nun nicht allen im College erzählen mußte, ich hätte mit Buddy Schluß gemacht, und daß ich nicht wieder mit diesen schrecklichen blind dates anfangen mußte.
Ich erzählte allen einfach, Buddy habe Tb, und wir seien so gut wie verlobt, und wenn ich nun samstagabends nicht ausging, sondern arbeitete, waren sie sehr nett, weil sie mich für tapfer hielten und glaubten, ich wollte meinen Kummer in der Arbeit ertränken.
Sieben
Constantin war natürlich viel zu klein, doch mit seinem hellbraunen Haar, den dunkelblauen Augen und dem lebhaften, herausfordernden Gesichtsausdruck sah er auf seine Weise sehr gut aus. Er hätte fast als Amerikaner durchgehen können, so braun war er und so gut waren seine Zähne, aber ich erkannte sofort, daß er keiner war. Er besaß nämlich etwas, das kein amerikanischer Mann, dem ich begegnet bin, je besessen hat – Phantasie.
Constantin ahnte von Anfang an, daß ich nicht zum inneren Zirkel von Mrs. Willard gehörte. Mal machte ich große Augen, mal gab ich ein kurzes, trockenes Lachen von mir, und es dauerte nicht lange, da lästerten wir gemeinsam über Mrs. Willard, und ich dachte: »Diesem Constantin wird es nichts ausmachen, daß ich zu groß bin und nicht so viele Sprachen spreche und noch nie in Europa war, er wird hinter all dem erkennen, was ich wirklich bin.«
In seinem alten grünen Kabriolett, auf rissigen, bequemen braunen Ledersitzen, mit zurückgeklapptem Verdeck, fuhr mich Constantin zur UNO . Er erzählte mir, seine Bräune käme vom Tennisspielen, und als wir so nebeneinander in der prallen Sonne durch die Straßen glitten, nahm er meine Hand und drückte sie, und ich fühlte mich so glücklich, wie ich mich nicht mehr gefühlt hatte, seit ich neun gewesen war und mit meinem Vater an den heißen, weißen Stränden entlanggelaufen war, in dem Sommer, bevor er starb.
Und während Constantin und ich in einem dieser polstergedämpften Sitzungssäle im UNO -Gebäude neben einer muskulösen jungen Russin mit strenger Miene und ohne Make-up saßen, die wie Constantin Simultanübersetzerin war, fragte ich mich plötzlich, warum ich mir noch nie klargemacht hatte, daß ich richtig glücklich eigentlich nur bis zu meinem neunten Lebensjahr gewesen war.
Nachher war ich – trotz der Pfadfinderinnengruppe und der Klavierstunden, trotz Aquarellkurs und Tanzunterricht und Segellager, die sich meine Mutter alle vom Mund absparte, und trotz des Colleges mit Rudern im Morgennebel vor dem Frühstück, mit Schokoladensahnetorte und den kleinen Ideenraketen, die jeden Tag hochgingen – nie mehr wirklich glücklich gewesen.
Ich starrte durch die junge Russin in ihrem zweireihigen Kostüm hindurch, die da in ihrer unbegreiflichen Sprache eine Redewendung nach der anderen herunterrasselte – Constantin meinte, dies sei das schwierigste, weil die Russen nicht die gleichen Redewendungen hätten wie wir –, und wünschte mir von
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