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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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bekommen).
    Als ich gefragt wurde, was ich werden wolle, sagte ich, ich wüßte es nicht.
    »Ach was, Sie wissen es!« sagte der Fotograf.
    »Sie will alles werden«, witzelte Jay Cee.
    Ich sagte, ich wolle Dichterin werden.
    Dann machten sie sich auf die Suche nach etwas, das ich in die Hand nehmen könnte.
    Jay Cee schlug einen Gedichtband vor, aber der Fotograf sagte nein, das sei zu vordergründig. Es solle etwas sein, das zeigte, woher die Inspiration zu Gedichten käme. Schließlich lösteJay Cee eine einzelne langstielige Papierrose von ihrem neuesten Hut.
    Der Fotograf hantierte mit seinen heißen, weißen Lampen. »Zeigen Sie uns, wie glücklich es sie macht, ein Gedicht zu schreiben.«
    Ich starrte durch das Blättergeflecht der Gummibäume auf Jay Cees Fensterbank in den blauen Himmel dahinter. Einige effektvolle Wolkenkissen wanderten von rechts nach links. Die größte Wolke ließ ich nicht mehr aus den Augen, als könnte ich, wenn sie außer Sicht schwebte, mit ihr zusammen glücklich verschwinden.
    Ich hatte das Gefühl, es sei wichtig, die Linie meines Mundes gerade zu halten.
    »Nun lächeln Sie mal.«
    Gehorsam, wie der Mund einer Bauchrednerpuppe, verzog sich mein Mund schließlich doch.
    »He«, protestierte der Fotograf, der plötzlich ahnte, was geschehen würde, »Sie sehen ja aus, als würden Sie gleich anfangen zu weinen.«
    Ich konnte nichts dagegen tun.
    Ich vergrub mein Gesicht in der rosa Samtfassade von Jay Cees Zweiersofa, und es war eine gewaltige Erleichterung, als sich die Salztränen und die Jammerlaute, die den ganzen Morgen in mir herumgeschlichen waren, nun in das Zimmer ergossen.
    Als ich den Kopf hob, war der Fotograf verschwunden. Jay Cee war ebenfalls verschwunden. Ich fühlte mich schlaff und verraten, wie die abgestreifte Haut irgendeines scheußlichen Tiers. Es war eine Erleichterung, dieses Tier los zu sein, aber es schien meine Lebensgeister mitgenommen zu haben und auch alles andere, was es in die Tatzen bekommen hatte.
    Ich kramte in meiner Handtasche nach dem vergoldeten Etui mit der Mascara, dem Pinsel, dem Lidschatten, den drei Lippenstiften und dem Spiegel an der Seite. Das Gesicht, das mir entgegenblickte, sah aus, als würde es nach einer längeren Schlägerei zwischen den Gitterstäben einer Gefängniszelle hervorspähen. Es sah angestoßen und verquollen aus, und alle Farben waren falsch. Es war ein Gesicht, dem Seife und Wasser und Christengeduld not taten.
    Verzagt begann ich, es zu schminken.
    Nach einiger Zeit wehte Jay Cee wieder herein, einen Stapel Manuskripte im Arm.
    »Die werden Ihnen gefallen«, sagte sie. »Viel Spaß beim Lesen.«
    Jeden Morgen ergoß sich eine Lawine von Manuskripten in die Literaturredaktion und ließ die staubgrauen Stapel auf den Schreibtischen weiter anschwellen. Überall in Amerika, in Arbeitszimmern, Speichern, Klassenräumen, mußten irgendwelche Leute heimlich schreiben. Wahrscheinlich wurde in jeder Minute jemand mit seinem Manuskript fertig. Binnen fünf Minuten lief das auf fünf Manuskripte hinaus, die sich auf dem Schreibtisch der Literaturredakteurin türmten. Innerhalb einer Stunde waren es sechzig, die sich gegenseitig auf den Fußboden hinunterzustoßen versuchten. Und in einem Jahr …
    Ich lächelte und sah im Geiste ein blütenreines Manuskript vor mir, darauf in der rechten oberen Ecke getippt: Esther Greenwood. Für die Zeit nach dem Monat bei der Zeitschrift hatte ich mich zu einem Sommerkurs mit einem berühmten Schriftsteller beworben, dem man ein Manuskript mit einer Kurzgeschichte schicken mußte, das er dann las, um zu entscheiden, ob man gut genug für seinen Kurs war.
    Die Teilnehmerzahl war natürlich beschränkt, und ich hatte meine Geschichte schon vor langer Zeit eingeschickt und seither nichts von dem Schriftsteller gehört, aber ich war mir sicher, daß ich zu Hause auf dem Posttisch einen Brief mit seiner Zusage finden würde.
    Ich beschloß, Jay Cee zu überraschen und ihr unter einem Pseudonym einige der Geschichten zu schicken, die ich in diesem Kurs schreiben würde. Eines Tages würde dann die Literaturredakteurin persönlich zu Jay Cee kommen und ihr diese Geschichten auf den Tisch legen und sagen: »Hier ist mal etwas Besonderes«, und Jay Cee würde zustimmen, würde die Geschichten annehmen und die Verfasserin zum Lunch einladen, und dann wäre ich es.
    »Ehrlich«, sagte Doreen, »dieser ist anders.«
    »Erzähl mir von ihm«, sagte ich mit versteinerter Miene.
    »Er kommt aus

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