Die Glasglocke (German Edition)
Lächeln erinnerte mich an eine Schlange, die ich einmal im Zoo der Bronx geärgert hatte. Als ich mit dem Finger an das dicke Glas klopfte, öffnete sie ihre Uhrwerkkiefer und schien zu lächeln. Dann stieß und stieß und stieß sie immer wieder gegen die unsichtbare Scheibe, bis ich weiterging.
Ich war noch nie einem Frauenhasser begegnet.
Daß Marco ein Frauenhasser war, erkannte ich daran, wie ersich trotz all der Models und TV -Starlets im Raum an diesem Abend nur um mich kümmerte. Nicht aus Freundlichkeit oder aus Neugier, sondern weil ich ihm zugeteilt war – zufällig, wie eine Spielkarte aus einem Stapel identischer Karten.
Ein Mann in der Band des Country Clubs trat ans Mikrophon und begann die Rasseln zu schwenken, die südamerikanische Musik bedeuten.
Marco griff nach meiner Hand, aber ich hielt mich an meinem vierten Daiquiri fest und rührte mich nicht von der Stelle. Ich hatte noch nie einen Daiquiri getrunken. Der Daiquiri stand vor mir, weil Marco ihn für mich bestellt hatte, und aus lauter Dankbarkeit dafür, daß er nicht gefragt hatte, was ich trinken wolle, sagte ich keinen Ton, sondern trank einfach einen Daiquiri nach dem anderen.
Marco sah mich an.
»Nein«, sagte ich.
»Was soll das heißen, nein?«
»Ich kann zu dieser Art von Musik nicht tanzen.«
»Seien Sie nicht albern.«
»Ich möchte hier sitzenbleiben und mein Glas austrinken.«
Mit einem schmalen Lächeln beugte sich Marco vor, und plötzlich flog mein Glas in hohem Bogen davon und landete im Topf einer Palme. Dann packte Marco meine Hand auf eine Art, die mir nur die Wahl ließ, ihm auf die Tanzfläche zu folgen oder mir von ihm den Arm ausreißen zu lassen.
»Ein Tango.« Marco manövrierte mich zwischen die Tanzenden. »Ich liebe Tango.«
»Ich kann nicht tanzen.«
»Sie brauchen nicht zu tanzen. Das Tanzen besorge ich.«
Marco hakte mir einen Arm um die Taille und preßte mich mit einem Ruck an seinen blendend weißen Anzug. Dann sagte er: »Tun Sie so, als würden Sie ertrinken.«
Ich schloß die Augen, und die Musik brach über mich herein wie prasselnder Regen. Marcos Bein schob sich gegen meines,und mein Bein glitt zurück, es war, als wäre ich auf der ganzen Länge meines Körpers an ihn genietet, ich bewegte mich, wie er sich bewegte, ohne Willen oder Bewußtsein, und nach einer Weile dachte ich: »Zwei sind zum Tanzen gar nicht nötig, einer genügt«, und ließ mich rütteln und biegen, als wäre ich ein Baum im Wind.
»Was habe ich Ihnen gesagt?« Marcos heißer Atem strich an meinem Ohr vorbei. »Sie tanzen doch gar nicht schlecht.«
Ich begriff langsam, warum Frauenhasser die Frauen so lächerlich machen konnten. Frauenhasser waren wie Götter: unverletzbar und übermächtig. Sie ließen sich herab, und dann verschwanden sie. Zu greifen bekam man sie nicht.
Nach der südamerikanischen Musik gab es eine Pause.
Marco führte mich durch die große Glastür in den Garten. Aus dem Fenster des Tanzsaals sickerten Licht und Stimmen nach draußen, aber ein paar Meter weiter hatte die Dunkelheit ihre Barrikade errichtet und hielt sie fern. Im unendlich schwachen Glanz der Sterne zerstäubten Bäume und Blumen ihre kühlen Düfte. Der Mond schien nicht.
Hinter uns schlossen sich die Buchsbaumhecken. Ein einsamer Golfplatz erstreckte sich bis zu einigen baumbestandenen Hügeln, und ich spürte die ganze trostlose Vertrautheit dieser Szenerie – der Country Club und der Ball und dieser Rasen mit seiner einsamen Grille.
Ich wußte nicht, wo ich war – irgendwo in einem der reichen Randbezirke von New York.
Marco zog eine schlanke Zigarre und ein Feuerzeug, das wie eine Gewehrpatrone geformt war, hervor. Er steckte die Zigarre zwischen die Lippen und beugte sich über das kleine Flackern. Im Wechselspiel der allzu dunklen Schatten und allzu hellen Lichter wirkte sein Gesicht fremd und gequält, wie das eines Flüchtlings.
Ich sah ihn an.
»In wen sind Sie verliebt?« fragte ich schließlich.
Einen Moment lang sagte Marco nichts, öffnete nur den Mund und ließ einen blauen Rauchring heraus.
»Na, wunderbar!« lachte er.
Der Ring wurde größer und verschwamm gespensterbleich in der Dunkelheit.
Dann sagte Marco: »Ich bin in meine Cousine verliebt.«
Ich war nicht überrascht.
»Warum heiraten Sie sie nicht?«
»Unmöglich.«
»Warum?«
Marco zuckte mit den Achseln. »Sie ist eine Cousine ersten Grades. Sie wird Nonne.«
»Ist sie schön?«
»Keine kommt an sie heran.«
»Weiß sie, daß
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