Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
furchtbar aus.
»Ich habe dich nie ganz aus den Augen verloren«, sagte er. »Immer wusste ich, in welcher Stadt du gerade bist, Antonia. Zwölf Jahre lang.«
»Zwölf Jahre«, sagte sie nachdenklich. Matthias, stellte sie fest, hatte sich nicht verändert: die hohe, klare Stirn, die helle Haut, die wie Blaumurmeln strahlenden Augen, das runde Gesicht. Seine aschblonden Haare waren nicht weniger geworden, im Gegenteil, sie fielen bis auf die Schultern herab, und seine Statur war noch etwas stämmiger als damals, ohne dick zu sein. Er strahlte etwas Entschlossenes aus.
»Wie geht es dir?«, fragte sie. »Und was machst du in Trient? Bist du allein gekommen? Bist du verheiratet?«
»Das sind aber viele Fragen auf einmal.«
Sie lachten und sahen sich dabei in die Augen.
»Leider habe ich es gerade ein bisschen eilig, Antonia. Möchten du und dein Vater morgen, am Vorabend der Konzilseröffnung, meine Gäste sein? Ich habe eine kleine Casa in der Via San Marco bezogen, Casa Volterra, glaube ich.«
»Ich werde Vater fragen, aber ich denke, er hat nichts dagegen. Vielleicht komme ich allein, denn er isst in letzter Zeit gerne mit …« Im letzten Moment fiel ihr ein, dass es vielleicht besser war, Matthias nichts von Carlotta zu erzählen.
»Mit Menschen, die er hier kennengelernt hat«, fügte sie hinzu.
»Ich habe ihn eben in der Nähe des Doms gesehen ohne ihn anzusprechen. Er war in Begleitung einer Frau. Kennt er sie näher?«
Antonia zögerte nur kurz. »Das kann man sagen, ja.«
»Nun, das geht mich nichts an. Jetzt helfe ich dir noch, das Glas aufzufegen.«
»Das kommt nicht in Frage. Wir sehen uns morgen Abend. Casa Volterra.«
Sie nickte ihm fröhlich zu, als er ging.
Im Grunde war Matthias noch immer so, wie er als kleiner Junge gewesen war: freundlich, heiter, berechenbar und beschützend. Vertrauenerweckend eben. Er war für Antonia da gewesen, seit sie denken konnte, ja, er war ein natürlicher Bestandteil ihres Lebens geworden so wie Eltern, ältere Geschwister oder Wiesen und Wälder auch da sind und man später nicht den Zeitpunkt bestimmen kann, an dem man sie erstmals wahrgenommen hat. Matthias Hagen war zunächst so etwas wie ein älterer Bruder für Antonia. Sein Vater Berthold, ein verwitweter Kanzleisekretär, und Hieronymus waren gute Freunde, obwohl der eine Protestant und der andere Katholik war – damals spielte das noch keine so große Rolle. Die Familien pflegten regen gesellschaftlichen Umgang miteinander, und so war es nur natürlich, dass Antonia und der drei Jahre ältere Matthias ein vertrautes Verhältnis zueinander bekamen.
»Soll es einer wagen, frech zu dir zu sein. Den verhau ich, dass er es nie wieder wagt«, hatte er ihr versprochen. Da war er zwölf und sie neun Jahre alt gewesen. Er liebte es, vor ihr anzugeben, und eigentlich mochte sie Angeber nicht. Aber ihm verzieh sie es, denn er gab nur vor ihr an, und was er damit sagen wollte, war, dass sie auf ihn zählen könne. Für sie war es selbstverständlich, dass Matthias noch in zehn, zwanzig und dreißig Jahren bei ihr sein würde.
Eines Tages saß Berthold Hagen wieder einmal am Esstisch der Benders, wo sie schon so häufig geschwatzt und diskutiert hatten. An diesem Abend jedoch stritten sie. Antonia, die unter dem langen Tafeltisch mit Matthias spielte, hörte alles mit.
»Die Zeiten ändern sich nun mal, Hieronymus. Bisher konnte man es sich erlauben, keine Stellung zu beziehen. Das geht jetzt nicht mehr. Katholiken und Lutheraner stehen unmittelbar gegeneinander. Es geht darum, wer überlebt. Jetzt heißt es: Mund aufmachen und Partei ergreifen. In deinem Herzen bist du doch schon längst Protestant.«
»Das ist eine Unterstellung.«
»Eine gut gemeinte, Hieronymus, eine gut gemeinte. Du bist doch bald mit den Fenstern für das Münster fertig, oder?«
»Was hat denn das damit zu tun?«
»Und du hast dich um den Auftrag für die Rathausfenster beworben?«
»Ich bin Ulmer von Geburt, und meine Bezahlung ist nicht übermäßig hoch. Ich bin der ideale Kandidat.«
»Eben nicht. Du bist Katholik. Wenn du konvertierst …«
»Das werde ich in keinem Fall tun. Verstehe mich nicht falsch: Die Römische Kirche hat ihre Fehler, große sogar, und sie sollte sich besser heute als morgen reformieren. Aber eure, die protestantische, Auffassung von der Welt ist nicht die meine. Wenn ihr könntet, würdet ihr ein Dekret zur Abschaffung der Schönheit erlassen. Ich mache niemandem Vorschriften, wie er zu leben hat,
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