Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
und Matthias. Und dies unermüdlich. Adelheid sah die Entwürfe stets lange an, ohne ein Wort zu sagen, so als höre sie der Zeichnung zu, und dann sagte sie – nichts. Sie gab sie Antonia zurück und übte weiter mit ihr.
Matthias mochte es, wenn sie ihn zeichnete. Über sein Gesicht glitt ein Lächeln, wenn sie ihm die Porträts zeigte, und seine Augen, die Blaumurmeln, wie sie sie nannte, strahlten sie an. In ihre Freundschaft mischte sich im Laufe der Jahre etwas anderes, und je älter sie wurden, umso mehr von diesem anderen mischte sich hinein. Zudem entwickelte er sich zu einem äußerst attraktiven jungen Mann, der nicht nur von ledigen Töchtern, sondern auch von verheirateten Frauen aus dem Augenwinkel heraus beobachtet wurde. Für jeden hatte er ein freundliches Wort, eine ganz leicht vorwitzige Verbeugung, einen intensiven Blick. Man sagte ihm nach, er habe Charme – ein Wort, das Antonia sich erst erklären lassen musste.
An Antonias vierzehntem Geburtstag wusste sie, dass sie Matthias liebte. Sie vertraute sich ihrer Mutter an.
»Berthold Hagen wird eure Liebe nicht zulassen«, prophezeite Adelheid. »In seinen Augen bist du eine Papistin. Ganz abgesehen davon, dass er Kanzleisekretär ist und für seinen Sohn eine ähnliche Karriere vorbereitet. Da nutzt ihm eine mittellose Glasmalertochter wenig.«
Antonia glaubte nicht, dass Matthias sich väterlichen Verboten beugen würde. Er wollte Arzt werden, nicht Kanzleisekretär, und über Religion hatte er nie mit ihr gesprochen, so als sei sie ein Schatten, den es nicht mehr gab, weil die Sonne im Zenit stand.
Gleichwohl spürte sie die Feindschaft seines Vaters Berthold – nicht direkt, denn er vermied jede Begegnung mit ihr -, aber sie bemerkte, wie er Matthias Monat für Monat und Jahr für Jahr veränderte. Das Lächeln, die vorwitzigen Verbeugungen, die Art, wie Matthias Menschen gewann, der Charme – es war, als würde Berthold versuchen, einzelne Teile aus seinem Sohn herauszuschneiden und durch andere zu ersetzen, sei es, dass Matthias nun manchmal ein ernstes, fast pastorales Gesicht machte, oder sei es, dass er begann, Jura zu studieren, wie sein Vater es gewollt hatte. Es gab Tage, an denen er sie in die Arme nahm, Momente, in denen sie seinen Körper spürte und den seifigen Duft seiner makellos sauberen Haut roch. An anderen Tagen jedoch drang Antonia nicht zu ihm durch, da behielt er alle Gedanken für sich, wirkte unsicher und verschlossen, wirkte schwarz – so nannte Antonia diesen Zustand in Anlehnung an die schwarze Alltagskleidung vieler Protestanten. Matthias wurde zu einem komplizierten Menschen, dessen Kopf und Herz ständig miteinander rangen.
Mehrmals fragte er sie, ob sie nicht Protestantin werden wolle.
»Warum?«
»Es würde alles vereinfachen.«
Ihre Mutter, die erkannte, was vorging, hielt dagegen. Matthias und Adelheid lieferten sich einen unsichtbaren Kampf um sie, um Antonia. Sie war zu jung, als dass es ihr irgendetwas bedeutet hätte, Altgläubige oder Protestantin zu sein. Liebend gerne hätte sie Matthias diesen Gefallen getan, doch sie hätte damit zu verstehen gegeben, dass sie das Handwerk ihres Vaters, etwas, das ein wichtiger Teil seines Wesens, ja, der ganzen Familiengeschichte war, ablehnte. Das war ihr unmöglich. Nach langem Zögern lehnte sie ab, zu konvertieren.
Als Berthold Hagen schwer an einem fast unheilbaren, in Ulm grassierenden Fieber erkrankte, glaubte sie schon, das Schicksal – oder Gott – werde zu ihren Gunsten entscheiden und Matthias würde sie bald fragen, ob sie ihn heiraten wolle. Noch auf dem Sterbebett verfluchte Berthold Hagen die Römische Kirche und alle Abgötterei, auch das Glasmalen, und er verfluchte Antonias Vater Hieronymus, den er einen verstockten Papisten nannte. Mit Matthias führte er ein letztes Gespräch, bei dem niemand dabei war.
Am selben Abend, als Berthold Hagen starb, lag Antonias Mutter mit dem gleichen Fieber im Bett. Antonia war nicht hilflos, sie wusste, was zu tun war, und tat es sofort und unermüdlich, aber tief in sich spürte sie eine grenzenlose Panik, die von Stunde zu Stunde größer wurde, bis ihr Herz flatterte, der Puls raste und die Hände zitterten.
»Weißt du, was ich mir wünsche?«, fragte ihre Mutter mit trockenem Mund. Man konnte ihr so viel Wasser geben, wie man wollte, der Mund blieb trocken, so als wolle die Krankheit ihr die Fähigkeit zum Sprechen entziehen.
»Ich hole alles, was du willst.«
»Ich will nur eines: Mache
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