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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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in ihren Palästen geblieben, gesundheitliche Gründe vorgebend. Trotzdem waren noch genug gekommen. So viele Prälaten hatte Sandro noch nie zusammen gesehen.
    »Nun sind alle im Dom«, flüsterte Sandro Bruno zu. »Wenn die Person, die du gesehen hast, am Konzil teilnimmt, müsstest du sie jetzt erkennen.«
    Bruno bemühte sich nach Kräften, die Gesichter eines nach dem anderen zu mustern. Das war nicht leicht. Mehr als einhundert Delegierte waren im Kirchenraum versammelt, von denen manche zu Boden blickten, nur im Profil zu sehen waren oder verdeckt wurden.
    Sandros Ungeduld wuchs. Was, wenn der Gesuchte kein Delegierter war?
    »War er alt oder jung, dick oder dünn, groß oder klein?«
    »Nicht groß und nicht klein, ehrwürdiger Vater«, sagte Bruno schweißgebadet.
    »Du musst doch irgendeine Vorstellung davon haben, wie der Mann aussah! Hatte er eine Glatze? Und wenn nicht, welche Farbe hatten seine Haare?«
    Bruno leckte sich den Schweiß von den Lippen. »Er hatte eine Kapuze über den Kopf gestülpt, ehrwürdiger Vater, wie soll ich da wissen, wie seine Haare aussahen?«
    »Das ist doch nicht zu fassen! Sag mir einfach, was du erkannt hast, und nicht, was du nicht erkannt hast, sonst stehen wir hier noch herum, wenn man anfängt, Historienbücher über dieses Konzil zu schreiben.«
    Die Strenge in seinen Worten machte offensichtlich Eindruck, denn Bruno suchte konzentrierter als vorher den Dom nach dem geheimnisvollen Fremden ab.
    Inzwischen war der Choral verklungen, die Delegierten hatten ein Gebet gesprochen. Man setzte sich. Die Stühle waren im Halbkreis angeordnet. Dieser Hinweis auf den Kreis spielte auf das Göttliche an, das Ewige, Vollkommene, womit man unterstrich, dass das, was man hier diskutieren würde, vom Heiligen Geist inspiriert sei. Vor dem Halbkreis, leicht erhöht, saßen der Konzilspräsident Kardinal Creszenzio als Vertreter des Papstes sowie, als Gastgeber, Fürstbischof Madruzzo. Hinter ihnen war eine Art Thron aufgebaut. Zwei ungewöhnlich prunkvolle Sessel würden während des gesamten Konzils leer bleiben. Sie symbolisierten die Teilnahme des Papstes und des Kaisers. Obwohl nicht persönlich anwesend, waren sie dennoch dabei, denn ihre Gesandten und Legaten waren ihre Augen und Ohren und Arme und Zungen. Jedes Wort würde ihnen zugetragen werden, und alles, was vor und hinter den Kulissen geschähe, läge offen vor ihnen wie ein Buch. Der Kaiser war ins nahe Innsbruck gereist, und zu Papst Julius nach Rom wurden zweimal täglich Boten geschickt. Der kaiserliche Sessel war ein klein wenig größer geraten als der des Papstes – sicherlich kein Zufall, sondern die Veranschaulichung der realen Machtverhältnisse. Vor allem des Kaisers sollten die Delegierten sich stets bewusst sein. Die Wiedervereinigung der Gläubigen, seit einem Vierteljahrhundert von ihm ersehnt, war sein Streben, sein Ziel, seine Forderung.
    Zwischen den beiden Sesseln stand noch ein Schemel mit einem Prunkkissen darauf – ein weiterer Hinweis auf die Anwesenheit eines dritten Unsichtbaren, des Heiligen Geistes.
    Fürstbischof Madruzzo erhob sich und sprach einige Begrüßungsworte. Bertanis Tod erwähnte er nicht. Das Fensterglas mit seinem Porträt war gegen eine schwarze Scheibe ausgetauscht worden, und Madruzzo hielt es wohl – wie schon gestern während der Totenmesse – für besser, nicht darauf einzugehen, dass ein wahnsinniger Mörder dafür verantwortlich war. Er gab stattdessen der Überzeugung Ausdruck, der Heilige Geist wache höchstselbst über das Konzil und werde seine Weisheit über sie ausschütten. Ja, er sagte wirklich »ausschütten«, so als sei es die Lauge einer Wäscherin.
    In dem Moment, als der Konzilspräsident Kardinal Creszenzio aufstand und die Beratungen eröffnen wollte, rief Bruno etwas zu laut: »Das ist er!«
    Die versammelten Delegierten blickten dort hinauf, woher der Ruf gekommen war, zu dem kleinen Fenster im Treppenaufgang.
    »Bist du verrückt«, herrschte Sandro seinen Zeugen an, so laut, wie das flüsternd möglich war. Er riss ihn vom Fenster weg. »Brüll hier nicht herum.«
    »Aber ich habe ihn erkannt, ehrwürdiger Vater.«
    »Kardinal Creszenzio? Du willst sagen, dass der Legat des Papstes …«
    »Nein, Euer Gnaden, nicht der Kardinal. Dort unten, fast im toten Winkel, steht er.«
    Zum Glück setzte der Kardinal seine Rede fort, und niemand achtete auf Sandro, der seinen Kopf durch die schmale Fensteröffnung steckte.
    »Wer ist es?«, flüsterte er.
    »An

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