Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
der Wand links von uns.«
    »Da stehen drei Männer. Ein Mönch, ein Kanoniker und … Den dritten Mann erkenne ich nicht. Er ist hinter einer Säule verborgen.«
    »Den meine ich.«
    »Man sieht nur einen Zipfel von ihm.«
    »Eben habe ich aber sein Gesicht gesehen. Zwar nur ganz kurz, etwa so lange wie neulich. Trotzdem: Der ist es, ehrwürdiger Vater. Bekomme ich jetzt meine Belohnung?«
    Sandro ging nicht darauf ein. »Ist das etwa … ich habe den Eindruck … das kann doch nicht sein.«
    Sandro eilte die Treppe hinab, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm. Im Halbdunkel des Treppenturms war das unvernünftig, und prompt glitt er aus. Im letzten Moment fing er sich mit den Händen ab und vermied einen Sturz vornüber, der ihn auf der steilen Treppe leicht das Leben hätte kosten können. Ohne Luft zu holen, rannte er weiter.
    Wenn das wahr wäre, dachte er nur. Wenn das wirklich wahr werden würde …
    Er stieß die Tür des Treppenturms hastig auf, so dass sie gegen die Wand schlug und einen dumpfen Knall durch den Dom schickte. Die Delegierten, die in der Nähe der Tür saßen, blickten ihn ärgerlich an, doch das war ihm egal. Er ging schnurstracks auf die Stelle zu, die Bruno ihm benannt hatte, drängte sich durch Stuhlreihen, schob Kanoniker zur Seite, trat einem Erzbischof versehentlich auf den Fuß, verzichtete auf eine Entschuldigung und schenkte ihm, der ihn empört zurechtzuweisen versuchte, nicht einmal einen Blick, umrundete die Statue des Erzengels Michael, stieg über einen Stapel Schriftrollen hinweg, riss ihn halb um und stand endlich in einer Position, von wo aus er den Mann hinter der Säule gut sehen konnte.
    Matthias sah ihn mit den immergleichen, hochmütigen Augen an, von denen Sandro sich jedoch nicht täuschen ließ. Von jeher gab es eine wortlose Sprache zwischen ihnen. Normalerweise sagte man Liebenden nach, dass sie sich wortlos verstünden, aber Hass war ein ebenso starkes Gefühl wie Liebe. Matthias hatte etwas zu verbergen, und er wusste, dass Sandro das erkannte.
    Ein ungeheure Erleichterung durchströmte Sandro, die nicht allein dem Erfolg zuzuschreiben war, bei den Ermittlungen einen Schritt weitergekommen zu sein. Da war noch mehr. Er war Matthias überlegen. Er bestimmte, was jetzt geschah.
    Abrupt wandte er sich um und ging zurück in den Treppenaufgang, wo Bruno wartete.
    »Du bist sicher, dass es dieser Mann war?«, fragte er ihn.
    »Ganz sicher.«
    »Keine Täuschung möglich?«
    »Nein, nein.«
    »Du gehst in meinen Amtsraum und wartest dort auf mich, egal, wie lange es dauert.«
    »Und was ist mit meiner …«
    »Geh«, unterbrach er ihn derart schroff, dass Bruno zusammenzuckte und dem Befehl ohne weiteres Zögern gehorchte.
    Sandro setzte sich auf die kalten Stufen. Er vergrub für eine Weile das Gesicht in den Händen, und als er es wieder hob, lachte er. Es war ein hechelndes, tonloses Lachen, das nichts mit Belustigung zu tun hatte, sondern aus dem Dunkel in seinem Innern kam. Etwas in ihm gewann die Oberhand, schob sich vor das andere, wie die finstere Mondkugel sich manchmal vor die Sonne schob und den Tag zur Nacht machte. In seiner Kutte verborgen – direkt über seinem pochenden Herzen – spürte er den sanften Druck des gerollten Pergaments, das heute Morgen von einem Sonderboten gebracht worden war: die Bestallung zum päpstlichen Visitator. Von jetzt an war alles möglich.
    Matthias war ihm ausgeliefert. In den vergangenen sechs Jahren war es umgekehrt gewesen. Das Auftauchen von Matthias in Rom und die Folgen, die es gehabt hatte, hatten Sandros Leben auf den Kopf gestellt. Ohne Matthias wäre er niemals zum Verbrecher geworden. Ohne Matthias wäre er niemals Jesuit geworden. Ohne Matthias – und das war die Ironie daran – wäre er nie in die Lage versetzt worden, dessen dubiose Verbindung zur Ermordung von Bischof Bertani zu beleuchten. So schnell konnten die Rollen sich ändern: Gestern noch ein Schuldiger, war Sandro heute das Gesetz. Und das Gesetz würde Matthias ins Verhör nehmen. Die Soldaten des Fürstbischofs folgten Sandros Anweisungen, das hatte er gemerkt, als er vor der Konzilseröffnung vier von ihnen zu seiner persönlichen Verwendung vor dem Dom postiert hatte. Er würde warten, bis Matthias zur Casa Volterra zurückgekehrt wäre, und dann würde er ihn dort – in aller Stille – verhaften lassen.
    Das Lächeln auf seinen Lippen erstarb, als ihn ein beunruhigender Gedanke durchzuckte. Was, wenn Matthias überhaupt nicht bei

Weitere Kostenlose Bücher