Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
sich unter die plaudernden Delegierten, die, über den Kirchenraum verteilt, kleine schwarze oder scharlachrote Inseln bildeten. Fürstbischof Madruzzo unterhielt sich mit Luis, und den Blicken aus seinen Augenwinkeln war zu entnehmen, dass sie über ihn, Sandro, sprachen. Luis zog mehrfach die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken.
Sandro beobachtete, wie Matthias durch den Dom ging, oder besser, schlich, denn er wirkte wie eine Wildkatze, die aufmerksam ihre Umgebung nach Beute absuchte. Er schien auf zwei Prälaten zuzugehen: Erzbischof Villefranche, ein wichtiger Südfranzose, von dem man nicht wusste, zu welcher Meinungspartei er gehörte, und Gaspar de Cespedes, der Inquisitor von Sevilla. Villefranche und Cespedes hielten irgendein Papier in den Händen und diskutierten darüber, zwischendurch lachten sie.
Doch Sandro hatte sich geirrt. Matthias ging an ihnen vorbei und begrüßte einen allein dastehenden Mann. Kardinal Rowlands war ein Vertriebener, seit England eine eigene Staatskirche gegründet hatte, ein Mann mit hartem, knochigem Gesicht, ein bisschen wie das der Büsten von Cäsar. Beinahe wäre Rowlands beim letzten Konklave Papst geworden. Nur zwei Stimmen fehlten ihm gegen Giovanni del Monte, den heutigen Papst Julius III.
Sandro blieb ein paar Schritte entfernt stehen und versuchte, ihrem Gespräch zu folgen.
»Ihre Rede, lieber Hagen, war brillant. Ich darf hoffen, dass Sie das nicht ernst gemeint haben, dass die Residenzpflicht der einzige Reformpunkt ist, den Sie einfordern. Sie waren nur vorsichtig, ja? Das ist gut. Das ist geschickt. Was die Kirche braucht, ist eine umfassende Reform. Der Protestantismus hat recht, wenn er sagt, dass wir das, was wir sind, allein durch den Glauben sind. Gute Taten, gottgefällige Werke, schöpferische Vielfalt, Kreativität und so weiter bewirken nicht, dass Gott uns erlöst. Darum sind sie nichtig. Der Glaube dagegen ist alles. Stimmen Sie mir zu, Hagen?«
»Selbstverständlich.«
»Bertanis Tod ist ein herber Rückschlag für uns«, fuhr Rowlands fort. »Ich mochte Bertani. Er war gegen alles Heimliche und Diplomatische, und seine Meinung sagte er geradeheraus. Jetzt, wo er nicht mehr da ist, könnten uns sieben, acht, zehn Stimmen verlorengehen. Darum müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln. Ihre intelligente Rede, Hagen, ist ein Vorteil für uns. Und das Gebaren des Papstes ist ein weiterer Vorteil. Dass er seinen Bastard zum Kardinal gemacht hat – noch dazu einen so oberflächlichen, vergnügungssüchtigen Charakter, einen Gassenjungen mit der Intelligenz einer Küchenschabe -, ist eine Schande. Habt Ihr mitgekriegt, wie er gestern in Trient eingezogen ist? Während des Requiems für unseren teuren Bertani ist er auf den Domplatz geritten.«
»Immerhin ohne Gefolge«, wandte Hagen ein, »also sehr bescheiden. Ist doch lobenswert.«
»Pah, ein Schauspiel, um dem Volk zu gefallen. Das Geschrei des Pöbels war bis in den Dom zu hören. Er hat aus einer Trauermesse eine Posse gemacht.«
Sandro, der alles gehört hatte, bemerkte plötzlich, dass er nicht mehr allein war. Er hatte Luis nicht kommen hören – sein Schritt war manchmal leiser als der einer Katze -, aber ein feiner Luftzug, der nach Tinte roch, hatte Sandros Nacken gestreift.
»Wie kommst du voran?«, fragte Luis.
»Was hältst du von Hagens Rede?«
»Wie?«
»Hat sie dir imponiert, hat sie dich überrascht?«
»Geht es dir gut, Sandro?«
»Sehr gut sogar. Ich habe für Madruzzo und dich eine Überraschung. Was ist nun mit Hagens Rede?«
»Vor allem war sie gefährlich. Mir war klar, dass er nicht gleich mit allen Kanonen schießen würde, sondern einen Hinterhalt plant. Sehr raffiniert von ihm, dass er sich ausgerechnet die Residenzpflicht für Prälaten als wichtigste Reform ausgesucht hat. Den meisten Holzköpfen hier ist das nicht bewusst: Wenn man annimmt, dass die Residenz des Bischofs kein Zufall, sondern von Gott bestimmt ist, um dort Seelsorge zu leisten, dann stellt man eine direkte Verbindung zwischen Gott und den Bischöfen her. Das führt dazu, dass ein Konzil, eine Versammlung von Bischöfen, mehr Gewicht hätte als der Heilige Vater. Das Schlimme ist: Er könnte damit durchkommen. Die Norditaliener und die Deutschen wären dafür zu haben, während die Mittel- und Süditaliener und die Spanier dagegen sein werden. Alles hängt von den Franzosen ab, insbesondere von Erzbischof Villefranche, ihrem Meinungsführer. Wenn ich ihn gewinne, scheitert Hagens
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