Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Spur der im höchsten Maße verdächtigen Carlotta da Rimini gebracht hat.«
»Und das soll reichen, um den Papst zu beruhigen?«
»Das allein nicht. Sobald du ihrer habhaft wirst, musst du sie in ein strenges Verhör nehmen.«
»Was hast du denn gedacht, was ich mit ihr vorhabe? Wiegenlieder singen? Natürlich verhöre ich sie.«
»Was ich meine, ist ein wirklich scharfes Verhör. Ein peinliches Verhör.«
Sandro klappte der Mund auf. Er erhob sich, starrte Luis in der Hoffnung an, etwas missverstanden zu haben, wandte sich schließlich ab und schluckte. Peinliches Verhör: Das bedeutete Folter. Er hatte weder miterlebt, wie jemand gefoltert worden war, noch jemals einen Gefolterten gesehen. Hexen und Ketzer und Hochverräter und Schwerverbrecher wurden gefoltert, solche Leute kannte er nicht. Dennoch hatte er eine Ahnung von dem, was in einem Folterkeller passierte. Einer seiner römischen Freunde war der Sohn eines öffentlichen Anklägers und hatte damals von seinem Vater die Erlaubnis erhalten, einen solchen »Befragungsraum«, wie er genannt wurde, zu besichtigen. Es war spät am Abend gewesen, der Keller war menschenleer, aufgeräumt und gesäubert, trotzdem war für Sandro mit allen Sinnen zu spüren, dass hier noch vor Kurzem etwas geschehen war. Ein seltsamer Geruch, den Sandro nicht zuordnen konnte, hing in der Luft. Seile lagen herum, an einigen Stellen ausgefasert. Aus einem offenen Koffer leuchteten Metallstangen und eiserne Fäustlinge im Licht der Fackeln. Stachelige Kugeln baumelten wie Gehängte von der Decke. Die Streckbank quietschte, als Sandro sich daraufsetzte. Seine Freunde hatten alle ihren Spaß, sie spielten mit den Werkzeugen herum, imitierten Schreie und Röcheln, verdrehten übertrieben die Augen und hantierten mit Gegenständen, deren Bedeutung man nur raten konnte: eine Art Schraubstock in Form eines Stiefels, Ambosse, Zangen, ein erloschener Kamin voller Kohlen … Ihm jedoch schien die Luft wegzubleiben. Er glaubte, Schreie zu hören, echte Schreie, und er hörte das kalte Knarzen von Riegeln, die sich zuschoben. Notgedrungen hatte er bemüht gelächelt, wenn einer seiner Freunde ihn ansah, denn er wollte sich vor ihnen keine Blöße geben, aber tatsächlich war er dicht davor gewesen, aus dem Keller zu laufen.
»Gewiss«, sagte Luis und zog ein bedauerndes Gesicht, »peinliche Befragungen sind außerordentlich unangenehm. Doch du würdest damit deine Entschlossenheit demonstrieren, den Fall mit allem Nachdruck zu einem Abschluss zu bringen. Das allein könnte den Heiligen Vater besänftigen.«
Sandro schluckte. »Du vergisst, dass sie flüchtig ist.« Flüchtig: Dieses Wort hatte plötzlich etwas geradezu Tröstliches, etwas, woran er sich festhalten konnte.
Luis zuckte die Schultern. »Bis sie gefunden ist, könnte man das irre Mädchen befragen, und wenn sie nicht antwortet, peinlich befragen.«
»Das will ich nicht.«
»Zu diesem Zeitpunkt solltest du keine Option ausschließen.«
»Diese schließe ich aus. Das Mädchen wird nicht verhört.«
Luis erhob sich langsam von dem knarzenden Stuhl. »Tja, wenn du meinst. Das ist deine Entscheidung. Hoffentlich bereust du sie nicht wie diejenige vom heutigen Vormittag. Julius gilt als ebenso großzügig bei Erfolg wie unnachsichtig bei Misserfolg.«
Luis’ Worte pendelten wie ein Damoklesschwert über Sandros Haupt und lösten eine bedrückende Angst in ihm aus.
»Wenigstens das Verhör der Konkubine solltest du – sobald sie ergriffen wird – mit aller Konsequenz führen«, empfahl Luis. »Tust du es nicht, möchte ich nicht in deiner Haut stecken.«
Ein Glasfenster zusammenzusetzen, das war idealerweise so, als würde man einen Choral komponieren, und jede Figurenreihe war wie ein Notenblatt. Das Licht wirkte ähnlich wie die Musik, denn es drang direkt in die Herzen der Menschen. Es vermochte zu besänftigen, weich und empfänglich zu machen, ebenso aber aufzurütteln, zu beunruhigen oder sogar in Ekstase zu versetzen. Antonia hatte erlebt, wie in Chartres stämmige Männer vor den Fenstern der Kathedrale ehrfürchtig auf die Knie gesunken waren, und in Toledo, wie fromme Matronen beim Anblick der Glasmosaike um Luft rangen, sich an die Kehle griffen und halb die Augen schlossen, so als würden sie soeben im Bett beglückt. Lichtmusik, nannte Antonia dieses Phänomen. Helle Farben wirkten, ähnlich wie helle Töne, rein und erhaben, sie stimulierten und zogen Herzen in die Höhe. Dunkle Farben hingegen trieben
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