Die Glaszauberin pyramiden1
meine Kehle war wie zugeschnürt, und ich war einer Ohnmacht nahe. Ich wünschte, ich hätte die Augen schließen und vergessen können, was ich gesehen hatte, aber es war so klar in mein Bewußtsein eingebrannt, daß ich wußte, daß ich die nächsten Wochen Alpträume haben würde.
Die Götter allein wußten, welche Alpträume die arme Mutter haben würde.
Wie konnte das geschehen?
Ich fühlte eine Hand meinen Arm umklammern, und irgendwo in meinem Alptraum wünschte ich, die Leute würden aufhören, meine Blutergüsse zu quetschen.
Isphet.
»Setz dich hier in die Ecke und halte den Mund, Mädchen.« Und sie zwang mich, mich hinzusetzen und ging.
Das war ungerecht, denn ich hatte seit meiner Ankunft keinen Laut von mir gegeben. Aber ich saß trotzdem schweigend da, dankbar, nicht mehr stehen zu müssen, und sah zu, wie Isphet und ihre Gefährten sich nach allen Kräften bemühten, das Grauen zu vertreiben, das alle überkommen hatte.
Isphet ging mit der Mutter so unverblümt um, wie mit mir. »Du bist eine Närrin gewesen, Raguel, und das hast du auch genau gewußt. Ta’uz hätte das Kind niemals am Leben gelassen, und du kannst nur den Soulenai danken…«
Soulenai?
»… er hat es dir nicht aus dem Leib gerissen, während es heranwuchs. Das hätte auch dich umgebracht.«
»Aber er hat es doch gezeugt!«
Isphet schlug Raguel ins Gesicht, und das Klatschen übertönte mein eigenes empörtes Aufstöhnen.
»Raguel, es reicht! Hättest du von Anfang an auf mich gehört, wäre es gar nicht so weit gekommen, und Ta’uz hätte keinen Grund, meine Werkstatt unter solche Beobachtung zu stellen. Und jetzt, deiner Dummheit wegen, werden wir keine Gelegenheit haben….«
Plötzlich fiel ihr meine Anwesenheit wieder ein, und sie sah mißtrauisch in meine Richtung. Sie zögerte, dann wandte sie sich wieder Raguel zu und nahm ihr den kleinen leblosen Körper ihrer Tochter aus den Händen, um ihn einer anderen jungen Frau zu überreichen.
»Kiath, nimm das hier und wickle es ein, bis wir es den Flammen übergeben.«
Wieder herrschte Schweigen, jeder starrte die Leiche in Kiaths Händen an.
»Aber jetzt noch nicht«, sagte Isphet dann. »Lieber an einem Tag, wenn die Wächter nicht so genau hinsehen. Kiath, versteck die Leiche in einem Krug und verschließe ihn gut, damit keiner etwas merkt. Saboa?« Isphet winkte ein Mädchen in meinem Alter heran. »Nimm die hier«, sagte sie und zog mehrere beschmutzte Tücher unter Raguels Rücken hervor, was die Frau schmerzerfüllt stöhnen ließ. »Wickel sie um einen Brotlaib. Wir werden klagen und trauern und es am Morgen verbrennen, wie der Brauch es will und keiner wird etwas darüber erfahren. Du!«
Ich zuckte zusammen. Ich wollte nichts lieber als in meiner Ecke zu kauern und unbemerkt zu bleiben.
»Du… Tirzah? Komm her und hilf mir, es Raguel bequemer zu machen. Komm schon. Wenn du schon mein Haus und meine Werkstatt mit mir teilst, dann kannst du dir auch genauso gut deine Hände an diesem kleinen Skandal schmutzig machen. Und bring das Wasser da mit.«
Ich wagte es nicht, länger sitzenzubleiben; ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß mich Isphet hinschleifen würde, wenn ich mich nicht in Bewegung setzte.
In der Mitte des Raumes wurde ein großer Krug Wasser auf einer kleinen Kohlenpfanne erwärmt. Ich hob ihn vorsichtig hoch und ging hinüber.
»Gut«, murmelte Isphet, ohne mich eines Blickes zu würdigen, und fing an, Raguel zu waschen. Dabei sprach sie in einem leisen, sanften Ton, der mich überraschte. »Dich trifft keine Schuld an dieser Katastrophe, Tirzah. Ta’uz hätte dieses Kind irgendwann sowieso getötet, selbst wenn wir die Geburt vor ihm hätten verheimlichen können. Vielleicht war es auf diese Weise erträglicher, bevor Raguel Gelegenheit hatte, sie zu lieb zu gewinnen.«
Isphet drückte mir einen nassen Lappen in die Hand. »Hilf mir, Raguel zu waschen und ihr Bettzeug zu wechseln.«
Ich tat, um was sie mich gebeten hatte, und als Raguel gewaschen war und auf sauberen Laken lag, ergriff Isphet meine Hände. »Ein rauhes Willkommen für dich, Tirzah.« Sie musterte mich. »Du gehörst nicht zu unserem Volk, Mädchen. Wo kommst du her?«
»Aus dem fernen Norden. Aus einem Land namens Viland.«
Isphet schüttelte den Kopf. »Davon habe ich noch nie gehört. Aber du sprichst unsere Sprache gut, wenn auch mit schwerem Akzent. Wie kommt das?«
»Mein Vater und ich sind viele Wochen lang mit Wächtern aus diesem Land gereist, Isphet.
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