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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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sprang dem anderen hinterher. Mein Vater hatte den umgefallenen Stuhl mit beiden Händen gepackt, bereit, damit zuzuschlagen.
    «Haut ab!», schrie er fünf- oder sechsmal, immer lauter werdend. Ich stand jetzt hinter ihm und konnte sehen, dass einer der Männer draußen mit etwas Weißem wedelte. Er warf es in unsere Richtung, und es fiel nach unten, ins Dunkel. Hinter den beiden Männern, in einem anderen Wagen, war Licht angegangen. Es schimmerte durch Rollladenschlitze und machte ein Fenster zu einem hellen Viereck. Dann hörte ich Bubis Stimme.
    «Alles klar», sagte er. «Alles klar. Ganz ruhig, hier gibt es kein Problem.»
    Ich ging auf die andere Seite der Küche und schaute ins Schlafzimmer. Meine Mutter lag im Bett, den Kopf zur Wand gedreht. Ihre Schultern, in einem hellblauen T-Shirt, ragten über die Decke, die sie über sich gezogen hatte.
    «Warum hast du nicht bezahlt?», sagte sie.
    Ich sagte nichts. Sie drehte sich herum, sah, dass ich es war, dann setzte sie sich auf und schüttelte immer wieder den Kopf. Mein Vater schob sich an mir vorbei, er zog sich sein Pyjamaoberteil über den Kopf und streifte auch die Hose ab, sodass er nur in seinen Boxershorts zwischen uns stand. Er griff seine schwarze Zimmermannshose, die gefaltet neben dem Fernseher auf der Kommode lag, stieg hinein und knöpfte sie zu.
    «Ich hätte nicht gedacht, dass das mit dem Hund so dringend ist», sagte er. Dann zog er ein weißes T-Shirt an, schlüpfte in seine Flip-Flops und sagte, er müsse schnell raus und mit Bubi sprechen, bevor die Leute noch auf seltsame Ideen kämen. Er sah mich an.
    «Das waren keine Einbrecher», sagte er. «Das weißt du, oder?» Ich nickte. «Gut», sagte er. «Ich hab jetzt nicht viel Zeit. Diese Typen wollten Geld haben. Ich musste mir was leihen, für den Container. Zum Glück sind wir sie jetzt los. Es ist alles in Ordnung.» Meine Mutter saß auf der Bettkante, und bei seinen letzten Worten schüttelte sie wieder den Kopf.
    «Alles in Ordnung, ja?», sagte sie. «Wenn du dich mit fremden Männern prügelst? Morgen kommen die doch wieder.»
    «Nein», sagte mein Vater. «Die kommen nicht wieder. Wir sind nicht in irgendeinem Mafiafilm. Und diese Inkassopenner sind keine Killer, die haben ihre eigenen Methoden, einen Brief zu überbringen. Die wollten mir Angst machen. Was Besseres konnte nicht passieren, so können wir sie wegen Hausfriedensbruch anzeigen. Das wissen sie. Und nächste Woche kann ich bezahlen, wenn das Geld für diesen Monat aufs Konto kommt.» Er strich meiner Mutter kurz über die Schulter und klopfte auch mir auf den Rücken. «Haben uns ganz schön erschreckt, oder?»
    Er drehte sich weg, und ich atmete so tief ein, wie ich konnte, und langsam wieder aus. So lange, bis meine Knie stabil genug waren und ich wieder normal gehen konnte.

[zur Inhaltsübersicht]
    [6]
    Wir waren nicht wieder ins Bett gegangen in dieser Nacht, und am nächsten Tag ging ich auch nicht in die Schule. Mein Vater telefonierte mit einem Kollegen vom Wachdienst, und der nannte ihm jemanden, der angeblich mit brauchbaren Tieren handelte.
    «Willst du nicht mitkommen?», fragte er mich. «Oder hast du was Besseres vor an deinem freien Tag?»
    Es sprach nichts dagegen, und ich zögerte nur, weil es nichts gab, was ich hätte vorhaben können, und weil ich das nicht gleich zeigen wollte. «Wann denn?», sagte ich.
    «In einer Stunde. Oder in zwei. Ich kümmere mich jetzt um die Tür. Aber es ist noch Zeit genug. Wir nehmen den Roten Blitz.»
    Die Hundezucht sollte in einem Gehöft untergebracht sein, gar nicht weit entfernt von dem Ort, wo mein Vater mit seiner ersten Frau gelebt hatte. Wir fuhren gegen Mittag los, und er schlug vor, unterwegs bei Burger King zu essen, wo es seiner Meinung nach besser schmeckte als bei McDonald’s. Während wir nach einem freien Tisch suchten, sagte er, dass es auch bei Burger King seit kurzem nicht mehr Pepsi gebe, sondern Coca-Cola. Wir setzten uns unter einen Fernseher, der auf eine Wandhalterung geschraubt war und fast einen Meter weit in den Raum hineinragte.
    «Dabei ist Pepsi im Laden billiger als Coca-Cola», sagte mein Vater, während ich mir abwechselnd Pommes frites in den Mund schob und an dem Strohhalm in meinem Becher sog. «Vielleicht dachten sie, das passt nicht zusammen, weil es hier teurer ist als bei McDonald’s. Aber bei Pizza Hut gibt’s noch Pepsi, obwohl sie im Laden billiger ist. Und Pizza Hut ist noch viel teurer, das sind Räuber. Teures Essen

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