Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
hinterfragen und zu analysieren.«
Emma war sich nicht sicher, ob die Entschuldigung bei Hertl ankam. Sein Mund wirkte noch immer freundlich, doch seine Augen blieben ernst.
»Ich denke«, sagte er langsam, »es sollte inzwischen kein Problem sein, unbehelligt über den Klosterhof nach draußen zu gelangen. Ich begleite Sie.«
Er trat zur Seite und gab ihr den Weg frei. Emma erhob sich, dann blieb sie zögernd stehen.
»Ich...«, begann sie. Als sie in seine Augen sah, merkte sie, dass es ein Fehler gewesen war, ihn an ihren Beruf zu erinnern. Der Blick, den er ihr zuwarf, war von tiefem Misstrauen geprägt.
6. Kapitel
Für die Manneskraft, die in den Lenden der Männer liegt oder vielmehr für den Wind, der aus dem Mark hervorgeht, sind zwei untereinander verbundene Kräfte wie zwei Behälter da, welche die Glut, die im Manne ist, erweisen und außerdem das Feuer für den Stamm mächtig in sich enthalten. Sie sind von einer dünnen Haut umgeben, damit ihre Leistungsfähigkeit keine Einbuße erleidet, die ihnen behilflich ist, den Stamm aufrichten zu können. Fehlen einem Manne zufällig diese beiden Kräfte infolge angeborenen Mangels oder weil er kastriert wurde, so hat er keine männliche Kraft und auch nicht den männlichen Wind, der den Stamm zu seiner Kraft erhebt.
Zu ihrer Überraschung schmeckte die Suppe ausgezeichnet. Schwester Lioba aß mit Genuss weiter. Als sie hörte, dass es heute Fischsuppe geben sollte, hatte sie schon das Schlimmste befürchtet. Süddeutsche Hausmannskost konnte die Küchenschwester wirklich gut, aber die wenigen Ausflüge in die internationale Küche waren bisher grauenhaft gewesen. Diesmal hatte Schwester Angelika sich selber übertroffen. Schwester Lioba warf einen kurzen Blick in die Runde. Das Refektorium war gut gefüllt. Bis auf Schwester Angelikawaren alle der 37 Schwestern des Konvents beim Essen. Schweigend, wie die Regel es vorsah. Auf einem kleinen Podest saß Schwester Bettina, eine schüchterne Mittdreißigerin mit unstetem Blick. Sie war diese Woche dran mit der Lesung und sollte dafür nach eigener Einschätzung die wichtigsten Meldungen aus der Tageszeitung wählen. Da sie sich meist schwer entscheiden konnte, lagen zwischen den einzelnen Meldungen oft mehrere Minuten Pause.
»Mit einem beispiellosen Aufgebot hat die Polizei versucht, Randale beim Nato-Gipfel zu verhindern – gelungen ist das nur auf der deutschen Seite. In Straßburg brannten Häuser, Demonstranten lieferten sich …«
Die Stimme von Schwester Bettina wurde leiser und verstummte schließlich. Schwester Lioba hob erstaunt den Kopf. Es war seit Jahren nicht mehr vorgekommen, dass die Lesung während der Mahlzeit unterbrochen wurde.
Erst jetzt nahm sie die Geräusche wahr. Aus dem Gang zum Refektorium waren aufgeregte Stimmen zu hören. Eine davon gehörte Schwester Angelika. Selten hatte die Stimme der Küchenschwester so hysterisch geklungen.
Durch die jahrhundertealte Tür zum Speisesaal drang unüberhörbar eine Männerstimme. Ärgerlich runzelte Schwester Lioba die Stirn. Dieser Teil des Klosters gehörte zur Klausur, dem Bereich, der ausschließlich den Schwestern vorbehalten war. Er blieb selbst dem Beichtvater verschlossen. Die Blicke aller Schwestern waren auf die Tür gerichtet, die sich unvermittelt öffnete.
Schwester Angelika erschien im Türrahmen, ihr Gesicht war sichtlich gerötet. Hinter ihr tauchte der Kommissar auf, der Schwester Lioba am Morgen befragt hatte. Sie brauchte einen Moment, bis ihr sein Name wieder einfiel. Hauptkommissar Grieser, so hatte er sich vorgestellt. Schwester Lioba spürte, wie sich die Aufmerksamkeit der Mitschwestern aufsie richtete. Ein Blick in die Gesichter verriet ihr, dass die Schwestern teils neugierig, teils angespannt darauf warteten, dass sie etwas unternahm. Ihr Blick kreuzte sich mit dem von Schwester Raphaela, ihrer alten Rivalin. In ihren Augen blitzte Neugier.
Bedächtig legte Schwester Lioba den Löffel beiseite. Dann erhob sie sich. Hauptkommissar Grieser hatte sie bereits unter den Schwestern entdeckt und steuerte auf sie zu. Die Anspannung im Raum stieg. Schwester Lioba ging Hauptkommissar Grieser entgegen, der zu reden anfing, noch bevor sie ihn erreicht hatte.
»Ich muss Sie dringend sprechen«, sagte er. »Es tut mir leid, dass ich Sie und Ihre Mitschwestern beim Essen störe, aber es ist wirklich wichtig.«
»Es wäre nicht nötig gewesen, dafür in die Klausur einzudringen, dem Rückzugsraum des Konvents«,
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