Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
nervös an ihrem Habit.
Schwester Lioba nickte. Es war ihre Absicht gewesen, Schwester Heidrun Einblick in die wirtschaftliche Situation des Klosters zu geben. Sie hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass ihre Stellvertreterin so schnell reagierte.
»Wir sind pleite«, sagte Schwester Heidrun.
»So würde ich das nicht …«, begann Schwester Lioba.
»Ehrwürdige Mutter, Sie baten mich, die Unterlagen nicht nur zu sortieren, sondern auch zu prüfen. Das habe ich getan. Unsere finanzielle Situation ist katastrophal.«
Schwester Lioba seufzte. »Ich weiß. Deshalb habe ich Sie auch gebeten, sich alle Unterlagen anzusehen. Nach dem Tod unserer ehrwürdigen Mutter Mechthild habe ich ein paar Wochen benötigt, bis ich alles durchgesehen und geordnet hatte. Erst dann wurde mir klar, wie schlecht es tatsächlich um uns bestellt ist. Eigentlich hatte ich gehofft, von meiner ehemaligen Klassenkameradin Unterstützung zu bekommen. Aber sie wollte nicht.«
»Aber Mutter Oberin, vielleicht könnten Sie ja ihre Klassenkameradindoch noch davon überzeugen, uns zu helfen.« Das Gesicht der Priorin hatte ein Hoffnungsschimmer zum Leuchten gebracht.
»Sie ist tot«, unterbrach Schwester Lioba sie. »Es war meine Klassenkameradin Miriam. Sie ist die Tote vom Altar. Sie kann uns nicht mehr helfen.«
»Aber ihre Erben, vielleicht sind sie ja dazu bereit.« Schwester Heidrun war noch nicht bereit aufzugeben.
»Nein«, erwiderte Schwester Lioba, »ich hatte mir von ihr kein Geld erhofft. Nur Miriam selber hätte uns helfen können.«
»Was hatten sie denn von ihr erwartet?«, fragte die Priorin.
Schwester Lioba antwortete nicht. Schweigend trat sie an das Fenster und sah in den nachtdunklen Hof hinunter. Ihr Blick streifte das angrenzende Hotel.
»Ich habe mich gefragt, ob wir nicht das Hotel ›Zum Schwanen‹ übernehmen sollten. Es steht zum Verkauf, das hat mir Schwester Angelika erzählt.«
Schwester Heidrun sagte nichts darauf. Schwester Lioba wusste, warum. Der Konvent auf dem Rupertsberg war ein kontemplativer Orden. Sie hatten sich ganz dem Gebet und der inneren Einkehr verschrieben. Arbeit und Gebet waren gleichberechtigt und wurden zu gleichen Teilen in den Tagesablauf integriert. Je weniger Kontakt sie zu Menschen außerhalb des Konvents hatten, desto besser. Ins Gästehaus kamen nur Besucher, die innere Einkehr suchten und am Klosterleben interessiert waren. Ein Hotel zu führen war für einen kontemplativen Orden keine gute Idee. Aber jetzt leider die einzige. Ihre erste Idee musste sie nun nach Miriams Tod begraben. Dabei hatte sie eigens die alte Clique zu ihrer Weihe eingeladen. Sie hatte gehofft, die anderen würden ihr helfen, Miriam umzustimmen.
Emma fuhr ihren Dell Inspiron hoch und ging mit dem Surfstick online. Dann loggte sie sich in das Redaktionssystem der
Lupe
ein. Sie legte den Artikel an und kopierte den Text aus Word in das Content-Management-System der Redaktion. Sie formatierte die Überschrift und den Vorspann, dann gliederte sie den Text mit einigen Zwischentiteln und formulierte eine Bildunterschrift. Das Foto hatte sie zuvor mit Photoshop bearbeitet, sodass die Leiche auf dem Altar nur vage zu erahnen war. Für das Bearbeiten der Bilder war eigentlich die Grafikerin der
Lupe
zuständig. Aber Emma war nicht bereit, das Original aus der Hand zu geben. So konnte ausschließlich sie entscheiden, in welcher Form das Foto veröffentlicht wurde.
Emma klickte den Button zum Hochladen an und markierte die Bilddatei auf ihrem Computer. Dann startete sie den Upload. Emma sah auf die Uhr. In einer Stunde war Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe. Sie schenkte sich einen Schluck Weißwein ein und betrachtete die Lichtpunkte am gegenüberliegenden Rheinufer.
Wie schmal doch die Grenze zwischen Sensation und Berichterstattung war. Nein, so schmal dann eigentlich auch nicht. Mit dem Foto von einem Tatort ließ sie diese Grenze weit hinter sich. Zu Beginn hatte die
Lupe
auf seriösen Journalismus gesetzt. Doch der neue Chefredakteur kämpfte mit allen Mitteln ums Überleben. Das Foto würde ein scheinheiliges Echo der Medien auslösen. Unter dem Vorwand der Berichterstattung über unverantwortliche Sensationsfotos würden andere Medien das Thema genussvoll aufgreifen. Damit bekäme die
Lupe
bundesweit so viel Aufmerksamkeit, wie es mit keiner Werbekampagne zu schaffen wäre. Und sie selber könnte mit dem Pauschalistenvertrag ein Jahr lang ihre Existenz sichern und auch weiterhin als
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