Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
Traum, sondern entsprangen eher den Überlieferungen ihres Volkes. Zu welcher Zeit sich das alles zutrug, war ihr unklar, und die Menschen, die sie sah, sagten ihr nur wenig. Aber es war Sommer, und die baumlosen Hügel über dem Fluss lagen golden in der Sonne. Das Wasser unten im Flusstal war milchig grün, lauwarm und mit den Blüten der Seidenholzbäume übersät.
Die Marschkolonne rückte von Süden an, sodass die scharfen Zacken der fernen blauen Berge im Rücken der Soldaten aufragten. Sie trugen graue Hüte, die in der Hitze feucht und schlapp wirkten, blaue Blusen und Hosen mit gelben Streifen an der Seite, und um ihre Sattelhörner hingen hölzerne Feldflaschen, die dumpf ans Lederzeug schlugen. Ihre Blusen, die sich im heißen Wind bauschten, waren von der Sonne verblichen und steif vor Salz, und rund um den Sattel zeichneten sich dunkle Schweißflecken auf ihren Hosen ab, als hätten die Soldaten eingenässt.
Die Scouts der Crow ritten an der Spitze der Kolonne. Bei ihnen war ein Offizier, der anders gekleidet war als die übrige Truppe. Er hatte blondes Haar, das länger war als bei mancher Frau, trug polierte Stiefel mit Stulpen an den Knien, hautenge Hosen und einen mit Vogelfedern geschmückten Hut. Die Sonnenstrahlen tanzten auf seinen vernickelten englischen Bulldog-Revolvern. Er wirkte wie verzückt, und sein Gesicht strahlte, als er tief durchatmete, so als wären der Staub und die Grassamen lediglich der Zierrat zu einem großen Tag, an dem er in die Geschichte einzugehen gedachte.
Die Pferde der Crow rissen die Köpfe hoch, blähten dieNüstern und verdrehten die Augen, brachen dann aus und wollten sich nicht zügeln lassen, als lägen Schlangen in dem goldenen Gras, das auf dem Hang des Hügels wucherte. Kein Vogel regte sich in den Seidenholzbäumen am Fluss, am Horizont tauchten kurz ein paar Büffel auf, dann waren sie wieder verschwunden. In einem trockenen Wasserlauf schnatterten Elstern, die Fleischfetzen von den blanken Rippen eines Hirsches rissen, der bereits gehäutet und mit Steinmessern ausgeweidet worden war.
Der Wind drehte sich, und den Scouts der Crow schlug ein Geruch entgegen, den sie nur zu gut kannten – ein durchdringender Geruch nach Lagerfeuern, Pferden, die im Schatten der Bäume angehobbelt waren, nach Tierhäuten, die über qualmenden Weidenästen und feuchtem Laub gegerbt wurden, nach zertrampelten Schlammbänken, grün und glitschig vor Kot, auf den jetzt die Sonne brannte.
Die Crow waren vor allen anderen auf der Hügelkuppe. Der Anblick, der sich ihnen unten im Tal bot, ließ sie zu Stein erstarren.
Zu Tausenden standen die Zelte entlang des Flusses und in den trockenen Bachläufen. Dort unten lagerten lauter Sioux und Northern Cheyenne, die Feinde der Crow, doch einen Moment lang wünschten sich die Scouts, dass auch ihr Volk dieser Stammesgemeinschaft angehörte, denn jetzt hatte sich der rote Mann in so großer Zahl zusammengefunden, dass man die Bleichgesichter aus den Bergen verjagen und gen Osten vertreiben konnte, dorthin, wo sie hergekommen waren mit ihren Krankheiten, ihrer Habgier, ihrem Lug und Trug.
Der Offizier, der anders aussah als die übrige Truppe, stieß zu ihnen und blickte mit ungerührter Miene hinab. Die Haare hingen ihm in Locken auf die Schultern, und er wischte sich mit einem Tuch den feuchten Hals ab und richtete sich kurz inden Steigbügeln auf, dass das Leder unter ihm knarrte, um sich einen besseren Überblick auf das Tal zu verschaffen.
Die Crow warteten stumm und mit ausdrucksloser Miene, ließen sich keinerlei Gefühle anmerken. Sie hatten längst gelernt, dass sie den Offizier nicht ansprechen durften, solange er nicht das Wort an sie richtete. Er blieb ruhig, auch wenn er wütend war, und fuhr nicht so leicht aus der Haut, aber er war auch berühmt für seine Grausamkeit. So war das Küchenzelt zu einer Werkstatt umgerüstet worden, in der er seinem Hobby frönte und Vögel und andere Tiere ausstopfte, die er schoss, während sich seine Männer mit kalten Rationen begnügen mussten. Ein Soldat, der einen Dörrapfel aus einem Nachschubwagen gestohlen hatte, wurde kahl geschoren und musste hundert Meilen weit marschieren, ohne sein Pferd besteigen zu dürfen. Drei Deserteure wurden gezwungen, sich auf den Boden zu knien, und aus nächster Nähe erschossen.
Ein anderer Offizier, ein junger Mann, dessen bloße Haut im V-Ausschnitt seiner Feldbluse von der Sonne verbrannt war, ritt aus der Kolonne nach vorn und nahm im Sattel
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