Die Godin
Nein, die war nicht…«
»Aber heut hätts doch singen sollen, nedwahr?«
Kandl nickte. »Der Gustl sagt: ja. Aber gesehen hab ich sie nicht.«
Die Männer entdeckten den Österreicher wenige Stunden später. Der Kellner des »Blauen Bock« hatte ihnen sagen können, wo Posch mit Sicherheit zu finden sein würde. Er kannte natürlich die Hure, mit der Posch sich betrunken hatte und mit der er schließlich, vor etwa einer viertel Stunde sei das gewesen, aus dem Lokal gewankt war. Der Kellner konnte auch die Hofdurchfahrt des Hauses am Jakobsplatz beschreiben, für die das Mädchen einen Schlüssel hatte und in der sie ihre diesbezüglichen Geschäfte verrichtete.
Sie hatten den Eingang nach wenigen Schritten gefunden. Er lag im Dunkeln; eine Gaslampe beleuchtete nur den vorderen Teil der Gasse. Schoos preßte sein Ohr an die schwere Tür. Er wies mit dem Daumen nach innen und grinste.
»Da drin wird schwer geschoppt«, raunte er. Auch Kandl horchte. Er verzog seinen Mund. »Das muß ein ziemliches Gewicht sein, was der da stemmt.«
Es waren wenige Minuten vergangen, als ein dumpfes Ächzen zu hören war, das von unterdrücktem Gezeter begleitet wurde. Nachdem sie kurz danach Schritte gehört hatten, zogen sich Schoos und Kandl schnell zurück und taten so, als ob sie gerade zufällig die Straße entlanggehen würden. Die Hure kam schnaufend heraus und stakste mit schnellen Schritten die Gasse hinab. Wenig später öffnete sich die Türe erneut.
Schoos legte seine Hand an die Schläfe und grüßte verschlagen. Posch erschrak.
»Wer seids ihr?« keuchte er.
Er hätte doch eine Droschke bestellt, behauptete Kandl. Posch stritt es ab.
»Schmarren!« protestierte er. »Wo ich doch gleich drüben beim Tor logier!«
Die beiden Männer sahen sich an. Schoos wandte sich wieder an den Empörten und griff an dessen Revers.
»Bestellt ist bestellt!« sagte er drohend. Kandl packte Posch am Arm und zog ihn mit sich. Hilflos sah Posch um sich.
»Wennst schreist, bist hin. Spürst, was ich in der Hand hab? Was ist das?« Schoos drückte die Spitze eines Messers in Poschs Rücken.
»Was… was hab ich euch denn getan?« flüsterte der Entführte und sah entsetzt von einem zum anderen. Plötzlich schien sein Atem zu stocken.
»Euch kenn ich ja!« ächzte er und versuchte, sich aus den Griffen der beiden Männer zu winden. »Ihr seids dem Urban seine…!«
»Still bist!« Schoos drückte die Klinge fester in Poschs Rücken. Posch stöhnte leise auf. Bald hatten sie den Wagen erreicht. Kandl, der nun ebenfalls ein Messer in der Hand hielt, öffnete die Tür, schob Posch auf den Rücksitz und wuchtete sich neben ihn. Schoos drehte fluchend die Motorkurbel und setzte sich hinter das Steuer.
Bald hatten sie die Ludwigsbrücke erreicht. Schoos schaltete den Selve zurück.
»Wo… wo bringts ihr mich hin?« flüsterte Posch.
»Weiß gar nicht, was er hat«, sagte Schoos gleichmütig, »da darf er bei uns mitfahren und freut sich gar nicht drüber.«
»Wo… wohin fahren wir denn?« stammelte Posch.
»Bloß ein bisserl spazieren«, sagte Kandl gähnend.
Der kühle Wind, der am Morgen aufgekommen war, hatte das Fenster zu Kajetans Kammer aufgedrückt. Mit leisem Ächzen schob er die Flügel hin und her und schlug sie, als er stärker wurde, an die Leibung. Im Halbschlaf hatte Kajetan das Gefühl gehabt, das gleichmäßige, von feinem Glasklirren begleitete Klocken sei Teil seines Traums, bis er schließlich fröstelnd erwachte. Die Decke lag am Boden. Er zog sie wieder über sich und vergrub sich darin, bis das Geläut der Heiliggeistkirche dröhnend einsetzte. Mit schweren Bewegungen stand er auf und schloß das Fenster. Er tappte unentschieden in der Kammer umher. Schließlich zog er sich an.
Er besah sich im Spiegel und starrte fassungslos auf sein Bild. Sein Gesicht war schmutzgrau, zwischen seine Augen hatte sich eine tiefe, waagrechte Wulst gesenkt. Unter seinen rotgeränderten Augäpfeln waren seine Tränensäcke angeschwollen wie die eines alten, betrunkenen Mannes, und tiefe Furchen hatten sich von der Nasenwurzel zu den unrasierten Wangen gegraben. Sein Haar stand wüst in die Höhe; vergeblich versuchte er, es mit den Händen zu glätten. Er füllte die Waschschüssel, nahm mit beiden Händen Wasser heraus und rieb sich das Gesicht ab. Dann trocknete er sich ab, legte das Tuch zur Seite und richtete seinen Rücken gerade. Er sah nicht mehr in den Spiegel.
Mia war tot. Sie hatte sich
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