Die Godin
»Der Hausherr hat mir angeschafft, ich soll alles gleich wegtun. Sag ich: Wartens doch noch, sie ist doch noch nicht einmal unter der Erdn! War ihm wurscht, meint er. Sie, der hat ein Gemüt! Das meiste hat er gleich selbst in den Ofen geschmissen.«
Sie griff in eines der Fächer. »Da! Lauter gutes Zeug! Was das kost hat! Ich könnt meine Schwiegertochter fragen, aber die gwamperte Urschl, der paßt das ja niemals… Ein Mannsbild kanns ja auch nicht brauchen…« Sie hob die Tücher auf und betrachtete sie anerkennend. »Da schauens, der Mantel! Pfenniggut! Den hats auch angehabt, wie sie weggefahren ist.« Sie betastete ihn. »Oh, da ist ja sogar noch ihre Geldtaschn drin. Ist vielleicht sogar noch ein Geld da? Wer kriegt denn das?«
Sie öffnete den Verschluß und griff hinein.
»Oha«, sagte sie überrascht, »das sind ja mehr als zwanzig Mark. Was tu ich jetzt damit? Ich werds der Stadt geben müssen, für die Beerdigung.« Sie sah Kajetan fragend an. Er nickte unschlüssig. Sie schob die Geldbörse zurück und griff in die andere Tasche.
»Nein, da ist nichts mehr.« Sie wollte das Stück Papier wieder zurückstecken.
»Lassens schauen!« sagte Kajetan schnell. Sie reichte ihm das Papierstück.
Er kniff die Augen zusammen. Sie stellte sich an seine Seite und versuchte mitzulesen. »Was Wichtiges?«
»Ein Stück von einer Fahrkarte«, sagte Kajetan heiser.
»Zeigens her«, sagte die Putzerin und riß ihm das Papierstück aus der Hand, »vielleicht steht drauf, wo sie hingefahren ist.«
Kajetan holte es sich wieder zurück. »Man kanns nicht lesen. Bloß noch den Preis: Zwei Mark und zwanzig. Da kommst, na, wie weit dürft eine da kommen?«
»Das dürften so gute fünfzig, sechzig Kilometer sein.«
»Straubing dürfte weiter sein. Landshut kam wohl eher in Frag. Oder Augsburg?«
Kajetan schüttelte bestimmt den Kopf. »Landshut ist weiter. Augsburg könnt schon eher stimmen.«
»Ich hätt noch nie gehört, daß das Fräu’n Mia was in Augsburg zu suchen gehabt hätt.« Sie hängte den Mantel wieder in den Schrank, schloß die Türen und drehte den Schlüssel um. »Nein, ich weiß es auch nicht, wo sie gewesen ist«, seufzte sie, »ich komm ja nie raus aus der Stadt. Zuletzt war ich mit meinem seligen Mann einmal am Chiemsee unten, aber das war schon vor dem Krieg. Sie - eine herrliche Reise ist das gewesen! So was Schönes hab ich mein Lebtag nicht mehr erlebt.«
Kajetan hörte ihr bereits nicht mehr zu. Er verabschiedete sich hastig und lief mit schnellen Schritten die Treppen hinab. Als er vom Treppenhaus in die Toreinfahrt trat, blieb er unwillkürlich stehen.
Hinter diesem Mauervorsprung hatte ihm der Unbekannte aufgelauert. Weshalb hatte er es getan? Er hatte den Mann zwar nicht erkennen können, dennoch war er davon überzeugt, daß es keiner jener Männer war, die er im »Steyrer« gesehen hatte. Vielleicht war es ein Verehrer Mias gewesen, der sie beide verfolgt hatte? Doch dann hätte er mehrere Stunden hier verbringen müssen, da er nicht wissen konnte, wann Kajetan aus dem Haus gehen würde. Und er wäre bestimmt entdeckt worden. Auch nach Mitternacht gingen noch Bewohner ein und aus. Vermutlich hatte er sich hinter der Tür, die in den Hinterhof führte, zurückgezogen, wenn er gehört hatte, daß jemand die Tür aufschloß oder jemand das Treppenhaus betrat. Kajetan drückte das Schloß der rückwärtigen Türe auf.
Der Junge sprang erschrocken zurück. Böse starrte er Kajetan an.
»Was schaust mich denn so zwider an?« frage Kajetan. »Ich tu dir nichts.«
Jetzt sah er, daß der Junge geweint hatte. »Gehns weg«, sagte der Bub mit zitternder Stimme. Kajetan beugte sich zu ihm herab. »Was hast denn?« Beppi trat einen Schritt zurück und zog den Rotz hoch. »Ihr habts das Fräu’n Mia umgebracht!«
»Was!?«
»Ja!« rief der Bub unter Tränen. »Ihr seids schuld. Ich hab genau gesehen, wer allerweil zu ihr gekommen ist. Du bist auch einer von denen!«
»Spinn dich aus, Bub! Ich gehör zu niemandem«, sagte Kajetan und versuchte, ihn zu beruhigen. »Außerdem, wer sollen die gewesen sein, die allerweil zu ihr gekommen sind?«
»Die mit dem Auto!«
»Wann ist jemand zu ihr gekommen?«
»Gestern…«, Beppi schluchzte lauter, »gestern hat sie einer vor das Haus gebracht. Ich habs gehört.«
»Jemand hat sie heimgebracht? Wer?«
»Du!«
»Blödsinn. Ich bin in der Arbeit gewesen.«
»Du lügst mich an!«
»Tu ich nicht. Wie haben die ausgeschaut, die sie heimgebracht
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