Die Godin
hob sie den Kopf.
»… Aber die Müllnerin hat nicht getan, was eine Godin zu tun hat! Sie hat ihr Godkind im Stich gelassen, hat zugeschaut, wie es untergeht, und hat nichts getan!«
Sie schnellte tierhaft hoch. Kajetan wich unwillkürlich zurück.
»Was weißt denn du?« schrie sie. »Was weißt denn du, wie das alles gewesen ist? Wie… wie…« Ihre Stimme schien zu brechen. Sie rang nach Luft. Ihre Brust bebte.
»Kann schon sein, Müllnerin! Wenn du weiter die Närrische spielst, wird es nie einer erfahren!«
Erschöpft tastete sie nach der Lehne ihres Stuhles, sank auf den Sitz zurück und starrte ihn an. Plötzlich sickerten Tränen aus ihren Augenwinkeln. Ihr Blick wurde schwarz. Sie schlug die Hände heftig vor ihr Gesicht und begann leise zu schluchzen.
Kajetan stützte sich auf die Lehne und beugte sich zu ihr.
»Red, Müllnerin«, sagte er berührt.
Sie wischte sich mit dem Handrücken über ihre Wangen. Dann hob sie ihr Gesicht zu ihm und betrachtete ihn fragend.
»Du hast sie… gut… gekannt, die Mia?«
Kajetan nickte stumm und wandte das Gesicht zur Seite. Als er sie wieder ansah, ruhte ihr Blick noch immer auf ihm. Er richtete sich heftig auf, ging zum Fenster und blieb mit dem Rücken zu ihr stehen. Seine Schultern bebten unmerklich. Er senkte den Kopf. Die Sonne flirrte durch sein zerwühltes Haar.
Sie verstand.
»Geh her zu mir«, seufzte sie. Er drehte sich langsam um, ohne den Kopf zu heben.
»Da, hock dich her zu mir. Ich wird dir erzählen, wie alles gewesen ist.« Sie wies auf einen Schemel. »Wenn du es nicht eh schon weißt - oder dir wenigstens denkst.«
Er nahm Platz. »Der Aichinger Marti, der Vater von der Mia, hat nie einen umgebracht. Er ist für einen anderen im Zuchthaus gesessen. Und der andere, das war der junge Urban. Stimmts, Müllnerin?«
»Ja. Der Marti ist beim alten Doktor in Arbeit gewesen und hat auch in einem seiner Häuser wohnen dürfen. Einmal mitten in der Nacht haut der Doktor an seine Tür und sagt ihm, er möchte sich sofort anziehen und zu ihm kommen. Und dann sagt er ihm, daß sein Bub, der Fritz, eine furchtbare Dummheit begangen hätt, und er tat ihm, dem Marti, jetzt einen Vorschlag machen.«
»Und der war, daß der Marti zum Gendarm gehen soll und zugeben soll, den Fuhrknecht Eglinger erstochen zu haben. Aber wie könnt er bloß so blöd sein und darauf eingehen?«
Die Müllerin seufzte. »Er ist so todfroh gewesen, daß ihn der Doktor in Arbeit gehalten hat. Seine Frau ist doch krank gewesen. Fast das ganze Geld, das er verdient hat, ist durch die Medizin drauf gegangen. Und da ist auch noch das Kind gewesen. Die zwei waren am Schluß so bettelarm, wie sich das gar keiner vorstellen kann. Ich hab ihnen freilich hie und da ein Gemüs und ein Mehl zukommen lassen, aber er ist mir fast bös gewesen deswegen. Einmal hat er sich grad und hoch vor mich hingestellt: Einen Stolz hätt er schon auch noch und tat keine Bettelgab nicht brauchen. Was tust da, sag?«
Kajetan wußte keine Antwort.
»Aber nicht, daß du meinst, daß der Marti je geklagt hätte. Da ist eine Lieb gewesen bei den zweien, und eine Freud wars zum schauen, so schön wie die sich getan haben. Die Vroni und das Kind, die waren dem Marti sein ein und alles. Aber es ist schlimmer und schlimmer geworden. Die Vroni ist es schließlich gewesen, die immer öfter gesagt hat, sie sei ihm doch bloß eine Last. Und Tage hat es gegeben, wo sie nur noch geweint hat. Und schließlich ist sie gemütskrank geworden.«
Kajetan schüttelte den Kopf. »Ich versteh das nicht! Gerade deswegen hätte der Marti doch diesen Vorschlag ablehnen müssen!«
»Sagst du. Ich auch«, sagte sie bitter, »aber der Doktor hat ihm ja auch was angeboten. Wenn der Marti ihm diesen Gefallen tun würde, dann würde er ihm das Häusl, in dem er jetzt wohnt, überschreiben. Außerdem sei, so hat er versprochen, für die Vroni und das Kind so gut gesorgt, daß er sich nie mehr eine Sorg zu machen braucht, sogar den besten Doktor, den es für die Krankheit von der Vroni gibt, tat er bezahlen.«
»Das mit dem Haus hat der Urban doch gar nicht eingehalten!« rief Kajetan empört. »Im Grundbuch ist doch bloß ein Wohnrecht eingetragen! Wie kann sich der Marti da drauf einlassen?!«
»Der Alte war eine Sau. Mit einem Herz wie eine Maschine, kalt zum Erfrieren, ohne ein Mitleid und ohne ein Erbarmen. Wenn er das jetzt gleich tun würde, hat er dem Marti gesagt, dann würd das verdächtig ausschauen. Drum sollt er noch
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