Die Götter - Ruf der Krieger - Grimbert, P: Götter - Ruf der Krieger - Les Gardiens de Ji, Tome 1: La volonté du démon
war. Während sie einen Gang entlangliefen, warfen sie flüchtige Blicke in die Zimmer rechts und links. Keines war möbliert. Sie erklommen mehrere Treppen, und nach einem schier endlosen Aufstieg standen sie oben auf der Festungsmauer.
Der Wehrgang war überdacht, und so konnten Damián und die anderen die Umgebung absuchen, ohne nass zu werden, obwohl sie wegen des heftigen Regens nicht besonders weit sehen konnten. Außerdem versperrte der Wehrturm ihnen teilweise die Sicht. Sie verteilten sich über den gesamten Wehrgang, schlenderten mal hierhin, mal dorthin und ließen den Blick über den Wald und die Straße, die zur Burg führte, schweifen. Irgendwann hatten alle die Burg einmal umrundet und versammelten sich wieder am Ausgangspunkt.
»Ich konnte niemanden entdecken«, sagte Maara. »Aber das muss nicht viel heißen. Bei diesem Dreckswetter würde ich auch im Wald Schutz suchen, statt auf offener Straße herumzulungern.«
»Unsere Pferde habe ich auch nicht gesehen«, ergänzte Lorilis.
»Wir kommen später noch mal wieder«, schlug Damián vor. »Wohin jetzt, Josion?«
Als er Angst im Blick seines Cousins aufflackern sah, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Deshalb also wirkte Josion seit ihrer Ankunft so gequält: Er hatte ihnen ein Geheimnis zu offenbaren.
»Du willst uns etwas zeigen, nicht wahr?«, riet Damián. »Etwas Wichtiges.«
Josion zögerte einen Moment und nickte dann ernst.
»Gleich werdet ihr alles verstehen«, verkündete er. »Die ganze Geschichte, von Anfang an.«
Josions Worte machten alle neugierig. Lorilis war vor allem bang zumute, denn es war Josion anzusehen, dass ihm das Geheimnis schwer auf der Seele lastete. Trotzdem brannte sie vor Neugier. Was er ihnen zu enthüllen hatte, hing sicher unmittelbar mit ihrer Lage zusammen.
»Worum geht es?«, fragte Maara argwöhnisch. »Was willst du uns zeigen?«
»Um ehrlich zu sein, mehrere Dinge. Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Vielleicht …« Plötzlich setzte er eine entschlossene Miene auf und bedeutete den anderen, ihm zur Treppe zu folgen. Sie hasteten hinter ihm her die Stufen hinab. Unten im Hof hielten sie sich zum Schutz vor dem Regen ihre Rucksäcke über den Kopf und rannten auf einen Turm zu. Sie versammelten sich vor der Tür, und Josion zog einen Schlüssel aus der Tasche, mit dem er die Tür aufschloss. Rasch flüchteten sie ins Trockene.
»Diesen Turm und den daran anschließenden Seitenflügel bewohnen meine Eltern«, erklärte Josion.
Der Unterschied zu den Zimmern und Sälen, die sie bisher gesehen hatten, stach ins Auge. Der Turm wirkte geradezu heimelig. Der Raum, in dem sich die Gefährten befanden, war mit edlen Holzmöbeln eingerichtet, an den Steinmauern hingen kostbare Wandteppiche, und hier und dort standen Kübel mit blühenden Pflanzen. Nur von den Bewohnern fehlte jede Spur, und im Kamin brannte kein Feuer. Der Regen, der gegen die Fenster trommelte, und das fahle Licht sorgten zudem für eine düstere Atmosphäre.
»Gehen wir hoch«, sagte Josion. »Das, was ich euch zeigen will, befindet sich oben.«
Die anderen folgten ihm wortlos, und Lorilis wunderte sich über Josions Gleichmut. Die Rückkehr an den Ort seiner Kindheit musste in ihm eine Flut von Gefühlen auslösen, aber er sah sich nicht einmal in Ruhe um. Er schien es wirklich eilig zu haben, ihnen sein Geheimnis zu offenbaren.
Sie stiegen eine Treppe hoch, passierten einen Flur, von dem mehrere Zimmer abgingen, und erklommen die Stufen, die in den zweiten Stock führten. Josion wartete, bis sich alle versammelt hatten, bevor er die Tür zu einem Saal öffnete und sie eintreten ließ.
Lorilis machte ein paar zaghafte Schritte und blieb dann ehrfürchtig stehen. Der Saal war weitläufig wie ein Tempel oder eine Bibliothek. An einer Wand standen in regelmäßigen Abständen Regale mit Büchern, zwischen denen große Gemälde hingen. Insgesamt waren es gut dreißig Bilder, die augenscheinlich zu einer Serie gehörten.
Lorilis hatte den Eindruck, dass man sie in einer ganz bestimmten Reihenfolge betrachten sollte. Sie folgte ihren
Gefährten zu dem ersten Gemälde. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen. War das möglich? Das Bild stammte von ihrer Mutter!
Niss’ Stil war unnachahmlich, und die winzige Unterschrift in der unteren Ecke räumte jeden Zweifel aus. Natürlich konnte es sein, dass ihre Mutter Nolan und Zejabel das Gemälde geschenkt hatte, schließlich waren sie befreundet, aber Lorilis wunderte sich,
Weitere Kostenlose Bücher