Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
Vom Netzwerk:
etwas hatte erklären müssen, das für ihn glasklar gewesen war? Als er das verdutzte Gesicht seiner Freundin von damals wieder sah, über das er immer so gelästert hatte, nahm er sein Notizbuch und entwarf schnell eine Skizze.
    „Stell dir ein ganz einfaches Vorhängeschloss vor. Schließen kann es jeder, öffnen aber kannst du es nur, wenn du den Schlüssel hast – den Code.“
    Sie dachte an ihren Spind im College. Leo hatte ihn damals als Zweitfach benutzt, um zweifelhafte Socken und verbotene Substanzen zu lagern. Sooft sie den Code auch verändert hatte, er war von Leo immer wieder geknackt worden – eine frühe Berufung.
    „Die Chiffrierung oder Verschlüsselung geht leicht, das kann jeder. Dechiffrieren oder entschlüsseln kann jedoch nur der Besitzer des Schlüssels. Dass man das Schloss verriegeln kann, gibt keinen Hinweis darauf, wie man es wieder öffnen kann.“
    Anna legte ihr Besteck ab und schenkte Leo ihre ganze Aufmerksamkeit.
    „Stell dir vor, du schickst deinen Spind mit offenem Schloss auf die Reise und behältst den Schlüssel.“
    Sie sah eine Schlange von Sattelschleppern vor sich, beladen mit Spinden, die durchs Land fuhren wie in einer modernen Version des Westerns Pony Express . Sie beherrschte sich jedoch, einen Witz darüber zu machen. Leos Humor war wenig bijektiv; seine Empfindlichkeit war genauso groß wie seine Fähigkeit, andere herunterzuputzen.
    „Ich lege eine Nachricht in deinen Spind und verriegle das Schloss. Für mich ist das eine unumkehrbare Handlung. Aber wenn du den Spind bekommst, kannst du das Schloss öffnen und seinen Inhalt herausnehmen.“
    Sicozzi suchte mit den Augen die Flasche. Am anderen Ende des Tischs tranken die drei Studenten den Gevrey-Chambertin leer. Die alles sehende Ernestine entkorkte schnell eine neue Flasche.
    „Nun muss man noch die unumkehrbaren Funktionen verstehen, die die Asymmetrische Verschlüsselung erfordert. Es sind einfache mathematische Operationen, ihre Umkehrung aber ist kompliziert.“ 37
    Leonard zeigte ein schmallippiges Lächeln, das bei ihm ein Zeichen von Jubel war.
    „Und so wird ein Schuh daraus!“
    „Wundervoll! Wo haben Sie Ihre Inspiration gefunden?“
    „In der Pizza. Ich habe halluzinogene Mengen davon vertilgt. Aber, um ganz ehrlich zu sein, die Idee ist meinem Kollegen gekommen, am Morgen nach einem Besäufnis.“
    „Eine schöne Migräne schaltet die linke Gehirnhälfte aus.“
    „Mitunter auch alle beide! Das hängt von der einverleibten Ethanol-Dosis ab. Auf diesem Gebiet machen wir viele Feldversuche.“
    „Könnten Sie mir einen kurzen Einblick in Ihre Testergebnisse geben? Es sei denn, Mademoiselle hat genug davon.“
    „Ich bitte Sie! Leo spricht so selten über seine Arbeit.“
    Sie dachte an „Adeles Theorem“. Sie ertappte sich in flagranti dabei, es anzuwenden, begnügte sich aber damit, mit den Wimpern zu klimpern. Das war der schlechte Einfluss ihres roten Kleids.
    „Gut, für dich erkläre ich es mit einfachen Worten.“
    Darüber wollte sie sich nicht ärgern. Sie hatte ja schon vor Langem, und nicht ohne Bitterkeit, eingeräumt, dass sie nicht in derselben Liga spielte wie ihr Jugendfreund. Er wollte sie nicht von oben herab behandeln – man rühmte sich nicht für ein natürliches Talent, man argwöhnte aber auch nicht, dass andere es nicht besaßen.
    „Du wählst zwei Primzahlen aus, p und q, und hältst sie geheim. Ihr Produkt ergibt eine Variable N. Was eine Primzahl ist, weißt du?“
    „Zahlen, die nur durch sich selbst und durch eins teilbar sind.“
    „Ich werde es dir mit kleinen Primzahlen erklären. Ist p = 13 und q = 7, ergibt 13 x 7 = 91. Dein persönlicher Wert von N ist also 91. Wenn ich dir eine Nachricht schicken will, musst du mir dieses N, also den Public Key, 91, mitteilen. Dann chiffriere ich meine Information in Abhängigkeit von diesem Wert, und nur du kannst sie dechiffrieren.“
    „Jemand könnte erraten, was mein N ist.“
    „Die Multiplikation von zwei Primzahlen ist eine unumkehrbare oder fast unumkehrbare Funktion. Wenn N groß genug ist, ist es sehr schwierig, das Produkt wieder in Primzahlen zu zerlegen, sprich: seine Quelle zu finden. Nur du kennst die Werte von p und q, die N definieren. Das Paar 13 und 7 ist dein Private Key.“
    „Wie kannst du sichergehen, dass ein kleiner Schlauberger, der gut rechnen kann, mein N nicht zerlegen kann?“
    „Um die Sicherheit der Kryptografie zu erhöhen, muss man nur einen riesigen Wert wählen. Wenn N gegen

Weitere Kostenlose Bücher