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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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ich kann sogar ohne Zögern sagen: Er unterwirft sich mir leidenschaftlicher, als mein Bruder es tut.
    Doch wenig ist das, was ich bei diesem Knaben bewirke, im Verhältnis zu dem, was die Ausbildung zum Wolfskrieger noch bewirken könnte!
    Bedenkt, wie sehr euch einst diese Ausbildung das Innerste nach außen gekehrt und euch durch und durch verwandelt hat!
    Bedenkt, was ihr bei den Prüfungen bis an die äußersten Grenzen des Ertragbaren erlitten habt!
    Bedenkt, wie der Geist und die Wut des göttlichen Kriegers über euch kamen!
    Wie müssen diese Prüfungen auf ahnungslose Knabenherzen wirken, die noch nichts wissen von der tödlichen Stärke des göttlichen Kriegers!
    Die Prüfungen werden diese Knaben um so grausamer treffen, je weniger sie durch die harte Hand eines wissenden Vaters darauf vorbereitet wurden.
    Alles, was in ihnen war, werden die Prüfungen ausmerzen wie durch Feuersglut. Und in den so bereiteten Boden werden die Weihen die wahre Lehre pflanzen, und die heilige Wut.
    Sie werden sich danach selbst nicht mehr kennen – nur noch die Götter. Sie werden keine Bauernsöhne mehr sein – nur noch Wölfe, blutdurstig, wie jemals Wolfskrieger waren!
    Und wer einmal Wolfskrieger geworden ist, ist einer von uns – so gut, als wäre er als Sohn des Himmels geboren!«
    »Doch wenn es mit anderen Knaben nicht geht wie mit dem Jungen, von dem du berichtest?« fragte einer der ältesten Herren dazwischen. »Wenn sie sich verweigern, wenn sie schändlich versagen?«
    Lykos zuckte die Schultern. »Wer sich weigert, sich auflehnt oder versagt – nun, ich meine, den muß man töten. Weiß jemand ein besseres Erziehungsmittel als Todesangst? Einige Hinrichtungen von abschreckender Grausamkeit, und die anderen Knaben werden ihre Anstrengungen verdoppeln und jeden Gedanken an Auflehnung für immer aus ihren Herzen verbannen!
    Ihre Familien aber, wohl wissend, daß wir ihre Söhne in unserer Gewalt haben, werden uns ihre Treueschwüre nur so aufdrängen!
    Mit ihren eigenen Söhnen könnten wir das Alte Volk besiegen!
    Es muß nicht hier in ihrer eigenen Heimat sein, sie müssen nicht gerade gegen ihre eigenen Familien eingesetzt werden –aber in der Ferne, im Westen.
    Als Wölfe, die den Bernsteinbären das Fürchten lehren, dürften sie ebenso gut sein wie unsere eigenen Krieger. Und damit blieben aus unseren Reihen Wolfskrieger genug, die hier im Land jeden Widerstand im Keim erstickten!
    Laßt uns die Stärksten und Gesündesten der Bauernsöhne auswählen, vom Alter her etwas jünger als unsere eigenen Knaben, damit sie um so empfänglicher und leichter bildbar sind und um so länger unsere Erziehung genießen können! Laßt uns diese Knaben von ihren Familien trennen und sie in den Wald bringen, ein jeder Herr die Besten aus seinen Dörfern! Laßt uns die Zahl der Meister vervielfachen, die die Wölfe heranziehen!
    Einige Jahre nur – und wir wären soweit. Gerüstet für den großen Krieg.
    Das, mein König, meine Herren, ist mein Rat, den ich zu bedenken gebe!«
    Lykos setzte sich, ballte die Fäuste, um das Zittern zu unterdrücken, das ihn plötzlich ergreifen wollte.
    Nun mußte es sich zeigen.
    Er machte sich auf einen schweren Kampf gefaßt. Doch es war leicht.
    Manche der Herren äußerten Bedenken gegen seinen Vorschlag, andere zeigten sich hellauf begeistert. Beeindruckt waren alle.
    Lykos mußte nicht mehr viel reden: Die Befürworter gewannen rasch die Oberhand und führten den Streit für ihn.
    Der König hielt sich lange zurück. Als er endlich sprach, gab sein Wort die Stimmung wieder, die sich mehr und mehr herausgebildet hatte: Er erklärte Lykos' Rede als richtungweisend für die Zukunft.
    Schließlich wurde Lykos' Vorschlag einhellig gebilligt. Es wurde beschlossen, ihn dem Rat der Priester und Richter zur geistlichen Prüfung vorzutragen. Wenn diese nichts gegen ihn einzuwenden fänden, so sollte die Entscheidung durch ein Orakel herbeigeführt werden.
    Lykos hörte ohne Furcht, daß er seine Rede vor den Weisen wiederhohen sollte – Daios ins Angesicht. Daios konnte nicht
    mehr wissen, daß er ihm von diesem Plan gesprochen hatte. Wenn Daios seine eigenen Gedanken ausgesprochen fand, so würde er nur um so mehr diesen Plan unterstützen.
    Daios war einer der einflußreichsten unter den Priestern. Der Oberste der Priester aber war vor kurzem Rösos geworden, Morias Vater ...
    Lykos lächelte. Er lehnte sich zurück, schloß die Augen.
    Mit Rösos und Daios als Fürsprechern war kaum

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